Brüder der Drachen
Das Jahr war schon zu weit fortgeschritten, um noch eine Saat auszubringen, trotzdem mussten die Felder vorbereitet werden, wenn sie im nächsten Frühjahr bebaut werden sollten. Zumindest war zu hoffen, dass an Fleisch kein Mangel bestehen würde. Das Land war reich an wilden Tieren, und Durodan und andere Jäger kehrten an keinem Tag ohne Beute zurück.
Und auch gegen die Kälte des Winters bot sich eine Abhilfe. In einem breiten Felsenbuckel, der sich aus dem unwirtlichen Land heraushob, gab es ausgedehnte Höhlen, in denen die Luft angenehm warm war, beheizt durch unterirdische Quellen heißen Wassers. Deryn blickte auf, als eine Gestalt sich ihm näherte. Es war Elaine, die einen kleinen Korb mit sich trug.
»Ich bringe dir etwas zu essen«, sagte sie.
Ohne etwas zu antworten, fasste Deryn die Hände seiner Frau und zog sie zu sich in das hohe Gras. Dann beugte er sich über sie, um sie sanft zu küssen.
»Ich brauche kein Essen«, sagte er. »Ich brauche nur dich.«
»Und ich brauche dich.« Elaine lächelte versonnen, und Deryn betrachtete lange ihr Gesicht. Sie hatte sich verändert in den letzten Wochen. Im Palast von Car-Carioth hatte sie die meiste Zeit in ihren unterirdischen Gemächern verbracht oder im Schatten der hohen Burgmauern. Nun war sie viele Tage durch das offene Land gereist, und ihr Gesicht und ihre Hände waren gebräunt von der Sonne. Sie sah nicht mehr aus wie die verwöhnte Fürstentochter, die er kennengelernt hatte, und doch fand er sie mit jedem Tag schöner.
Plötzlich, für einen winzigen Augenblick, zog ein Schatten über Elaines Gesicht, und Deryn blickte beunruhigt zum Himmel hinauf. Seine suchenden Augen fanden den Drachen, der in niedriger Höhe über dem Hügel kreiste. Angstvolle Rufe wurden unter den Menschen laut, die ihre Arbeit ruhen ließen und gebannt zu der riesigen Kreatur emporblickten.
»Die Menschen fürchten sie immer noch«, murmelte Deryn.
»Und du?« Lächelnd sah Elaine ihren Mann an. »Fürchtest du sie nicht?«
»Doch, ich fürchte sie. Aber bald kommt nun der Tag, an dem das Schicksal der Welt sich entscheidet. Ich wünschte, dass Menschen und Drachen diesem Tag gemeinsam entgegensehen könnten.«
»Vielleicht wird dein Wunsch erfüllt.« Elaine folgte dem Drachen mit ihren Blicken. »Sieh nur, er kommt zurück.«
»Und er ist nicht alleine.« Deryn sah, dass zwei weitere Drachen sich ihnen näherten. Offenbar waren sie auch den anderen Menschen nicht entgangen, denn viele von ihnen rannten Schutz suchend zu den Höhlen zurück. Die Drachen kamen näher, hielten direkt auf die Siedlung zu. Deutlich war nun zu sehen, dass einer von ihnen ungewöhnlich groß war und schwarz gefärbt. Die beiden anderen Drachen waren kleiner als ihr schwarzer Anführer, doch als sie in niedriger Höhe vorüberzogen, erschienen auch sie den Menschen gewaltig und Furcht erregend. Einer der beiden trug etwas in seinen Klauen – ein kleines Wesen, das er vorsichtig am Boden absetzte, bevor er selbst landete. Es schien ein junger Drache zu sein, so jung offenbar, dass er noch nicht alleine fliegen konnte.
Die Menschen hatten sich inzwischen zum größten Teil in den Höhlen verborgen, an deren Eingängen sich Soldaten sammelten. Die Männer hielten Schwerter in ihren Händen, und Prinz Fardhan war bei ihnen.
»Du musst etwas tun«, sagte Elaine.
»Ich weiß.« Nur widerstrebend löste Deryn seinen Blick von den Drachen, die er fasziniert betrachtet hatte, und mit eiligen Schritten lief er zu dem Prinzen hin und legte eine Hand auf dessen Arm.
»Die Männer sollen ihre Schwerter wegstecken, denn dies ist Eisenklaue, der mächtigste unter den Drachen und ihr Oberhaupt. Wir können ihm in Freundschaft gegenübertreten.«
Fardhan nickte knapp und gab den Soldaten den Befehl, am Eingang der Höhle zu warten, dann wandte er sich wieder Deryn zu.
»Ihr sagtet, wir sollen ihm gegenübertreten. Lasst uns also gehen.«
Erstaunt blickte Deryn in die Augen des Prinzen, der leichthin gesprochen hatte und keine Anzeichen von Furcht zeigte, während er selbst den wilden Schlag seines Herzens spürte.
»Ja, gehen wir«, sagte er und tauschte eine kurze Umarmung mit Elaine. Ohne noch etwas zu sagen, gingen sie auf die Drachen zu, und Eisenklaue trat ihnen entgegen, so als ob er sich schützend vor seine Gefährten stellen wollte. Deryns Besorgnis wuchs, denn er wusste nicht, wie er eine Verhandlung führen sollte, ohne die Sprache dieser Wesen zu verstehen. Als sie noch fünfzig
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