Brüder Des Zorns
Gasams Truppen ausgesprochen ruhig und beobachteten den Palast mit besorgten Mienen.
»Ich verstehe es nicht«, sagte Luo. »Sie wollen sich weder ergeben, noch wollen sie verhandeln, und jetzt sieht es so aus, als wollten sie nicht einmal kämpfen. Was wollen sie bloß?«
»Ich werde es herausfinden«, erklärte Gasam. Er rief einen Herold herbei und schickte ihn zum Tor, um Mana mitzuteilen, er solle das Tor öffnen oder aber herauskommen und kämpfen. Der Mann stolzierte mit geschwellter Brust zum Palasttor und rief zum Wehrgang hinauf, wo sie am Vorabend vereinzelte Wachen gesehen hatten. Er erhielt keine Antwort. Lange brüllte der Herold herum, aber vergebens. Er kehrte zu Gasam zurück.
»Ich sehe und höre nichts und niemanden, mein König.«
»Könnten sie geflohen sein?« überlegte Raba. »Vielleicht durch einen unterirdischen Gang?«
»Überall reiten Patrouillen umher«, antwortete Urlik. »Sie hätten sofort Bericht erstattet.«
»Wir werden es gleich wissen!« rief Gasam ungeduldig. »Brecht das Tor auf!«
Eine Gruppe Soldaten rollte im Schutz großer Schilde einen Wagen heran, auf dem ein bronzener Rammbock lag, der mit aller Kraft gegen das hölzerne Tor geschleudert wurde. Beim zehnten Stoß zersplitterten die schweren Balken, und das Tor sackte zusammen. Die Männer räumten die Trümmer beiseite, und Gasam rief seine Krieger zu sich: »Shasinn, Inselkrieger und Frauen stürmen den Palast. Diesmal gibt es keine Gnade!« Ihm missfiel das Spiel, das Mana mit ihm trieb, und er hatte nicht vergessen, welche Ängste er im Tunnel unter der Stadtmauer ausgestanden hatte.
Gasam betrat das Palastgelände gemeinsam mit seinen Kriegern. Keinerlei Kampfgeräusche waren zu hören, und es gab keine Horde von Gefangenen, die herausgeführt werden musste. Er drängte sich durch die Reihen der Shasinn, die plötzlich stehen blieben und schweigend auf die Szene starrten.
»Was ist los?« fragte er unwirsch, aber dann sah er es. Hinter der Mauer lag ein Innenhof, der von prunkvollen Gebäuden umgeben war. In der Mitte des Hofes stand ein dreistöckiges rundes Haus. Jedes Stockwerk war überdacht. Überall auf dem Steinboden des Hofes und vor jedem Gebäude lagen Leichen, die förmlich in Blut schwammen. Süßlicher Blutgeruch lag über dem ganzen Gelände, und Insekten sammelten sich über den Toten. Langsam näherten sich die Eindringlinge. Die meisten Leichen trugen kostbare Rüstungen und Waffen bei sich. Offensichtlich handelte es sich um die Elitetruppe des Königs.
»Allen wurde die Kehle durchgeschnitten«, stellte ein Shasinn fest.
»Sie haben sich gegenseitig umgebracht«, meinte Urlik.
Gasam empfand keine Freude bei dem Anblick. Schließlich hatte nicht er sie umgebracht.
»Wo steckt Mana?« brüllte er wütend.
»Feuer!« schrie eine der Frauen und deutete auf die Rauchwolken, die aus den Fenstern im dritten Stockwerk des Rundhauses quollen.
»Kommt!« Gasam lief auf den Rauch zu. Die Kriegerinnen hielten sich dicht hinter ihm. Junge Shasinn, die fürchteten, der König könnte sich blindlings in Gefahr begeben, eilten ihm voraus und die Stufen des Hauses empor.
»Bleib zurück, mein Gebieter!« rief Raba und stürmte in den Palast. Augenblicke später kehrte er zurück. »Auch hier liegen nur noch Tote. Komm und sieh es dir an.«
Verwirrt trat Gasam ein. Überall lagen Leichen. Nur wenige trugen Rüstungen, die meisten sahen wie Diener und Höflinge aus. Der Blutgeruch war überwältigend und wurde nicht einmal von dem süßlichen Rauch verdrängt. Im Mittelpunkt des Raumes lag ein gigantischer Stapel aller möglichen Gegenstände, und dünne Rauchfahnen stiegen von der Spitze auf. Obwohl er schlimme Befürchtungen hegte und die Hitze ständig zunahm, ging Gasam darauf zu.
Die Mitte des Raumes reichte über alle drei Stockwerke des Gebäudes. Dort lagen König Manas Schätze aufgestapelt. Möbel, Teppiche, Kunstwerke, Bücher, Truhen voller Juwelen, Duftwässer, seltene Arzneien, Weinkrüge, erlesene Speisen und Gewürze – alles war in wildem Durcheinander auf einen Haufen geworfen worden.
Auf den Gegenständen lagen die menschlichen Schätze des Herrschers. Gasam sah Frauen und Knaben jeder Nation; einige waren kostbar gekleidet, andere nackt. Es waren die Frauen, Konkubinen und Haremssklaven und – so vermutete Gasam – die Töchter und Verwandten Manas. Die Spitze bildete ein prunkvolles Bett, unter dem der Rauch hervorquoll. Darauf lag ein Mann in königlichen Purpurroben, der
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