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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Lebensgeschichte zu erzählen, und man konnte meinen, dass sich alles gegen ihn verschworen hätte, bis jetzt, und selbst diesem jetzigen Glück misstraute er. Als er jung war, sagte er, habe er nie begreifen können, warum die Leute gerade ihn immerzu betrogen und schlecht machten, bis ihm klar wurde, dass sie einfach neidisch auf seine Begabung waren. Er habe immer gedacht, er sei eben vom Pech vefolgt, aber dann gemerkt, dass es alles Komplotte gegen ihn waren. (Als er das sagte, machte Fabre mir Zeichen, dass er verrückt sein musste.) Jedes Thema, das wir anschnitten, steckte voll bitterer Erinnerungen für ihn, schon beim geringsten Anlass lief sein Gesicht rot an vor Wut, und beim Reden gestikulierte er, als spräche er in der Manege. Ich bekam Angst um mein Porzellan.
    Hinterher sagte ich zu George: »Ich mag Collot nicht. Er ist noch verbiesterter als deine Mutter. Und das Stück ist bestimmt grauenhaft.«
    »Eine typisch weibliche Schlussfolgerung«, erklärte Georges. »Ich finde nichts an ihm auszusetzen, außer dass er ein Langweiler ist. Seine Ansichten sind …«, er hielt inne, lächelte dann, »… korrekt, wollte ich schon sagen, aber ich meine natürlich, dass es die meinigen sind.«
    Am nächsten Tag verkündete Camille: »Dieser grässliche Collot. Wohl der furchtbarste Mensch unter der Sonne. Das Stück ist wahrscheinlich unerträglich.«
    Und Georges sagte demütig: »Da hast du sicher recht.«
    Gegen Ende des Jahres sprach Georges vor der Versammlung. Wenige Tage später trat das Kabinett zurück. Die Leute sagten, Georges habe es zu Fall gebracht. Meine Mutter sagte: Du bist mit einem mächtigen Mann verheiratet.
    Die Nationalversammlung beim Debattieren – Lord Mornington, September 1790:
Sie kennen keinerlei Regeln für das Tagesgeschäft; sie sprechen im Sitzen, im Stehen, manche von ihrem Platz aus, andere vom Gang, von der Rednertribüne, vom Pult … Der Radau ist so groß, dass man kaum verstehen kann, was einer sagt. Ich habe miterlebt, wie wohl hundert Deputierte gleichzeitig das Wort ergreifen, ohne dass einer zurückstünde, während ebenso viele aus allen Teilen des Saales dagegenreden; dann hält sich der Präsident mit beiden Händen die Ohren zu und brüllt nach Ruhe, als gälte es eine Mietkutsche herbeizurufen … Er haut auf den Tisch, er schlägt sich an die Brust … Auch zum Händeringen nimmt er nicht selten Zuflucht, und mich dünkt, sogar zum Fluchen … Dieweil die Galerie Zustimmung und Missfallen durch Stöhnen und Klatschen bekundet.
Heute Morgen war ich beim Hofempfang in den Tuilerien, eine traurige Angelegenheit … Der König wirkt wohlauf, aber sichtlich kleinlauter als bei früheren Begegnungen; er verbeugt sich vor jedem, was vor der Revolution ganz und gar nicht Bourbonen-Art war.
    LUCILES JAHR : Ich führe jetzt zwei Tagebücher parallel. Eins für reine, erhabene Gedanken und das andere für das, was wirklich passiert.
    Früher habe ich in lauter verschiedenen Gestalten gelebt, wie Gott. Mein Leben war so öde, dass mir nichts anderes übrig blieb. Ich pflegte so zu tun, als wäre ich Maria Stuart, und ehrlich gesagt tue ich es manchmal immer noch, um der alten Zeiten willen. Man bricht nicht so leicht mit alten Gewohnheiten. Jeder in meiner Umgebung bekam seine Rolle zugewiesen – Hofdame und dergleichen mehr –, und ich wurde bitterböse, wenn jemand nicht richtig mitspielte. Wenn ich es leid wurde, Maria S. sein, war ich Julie aus Die neue Heloise . Was sagt das über meine Beziehung zu Maximilien Robespierre aus, frage ich mich. Ich lebe in seinem Lieblingsroman.
    Ich muss einiges an Fantasie aufbieten, um die grausame Wirklichkeit in Schach zu halten. Das Jahr begann damit, dass M.Sanson, der Scharfrichter, eine Verleumdungsklage gegen Camille anstrengte. Komisch – man sollte nicht meinen, dass ein Henker den ganz normalen Rechtsweg einschlägt, man erwartet nicht, dass er Zeit für Animositäten hat.
    Zum Glück ist das Gesetz schwerfällig, seine Mühlen mahlen langsam, und wenn Schadenersatz zu zahlen ist, steht der Herzog bereit, um die Rechnung zu begleichen. Nein, es sind nicht die Prozesse, die mir Sorgen machen. Jeden Morgen wache ich auf und frage mich: Ist er noch am Leben?
    Camille wird auf der Straße angegriffen. Er wird in der Versammlung denunziert. Er wird zu Duellen gefordert – wobei die Patrioten eine Abmachung haben, dass niemand sich auf Duelle einlässt. Es laufen Geisteskranke in der Stadt herum, die sich damit

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