Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
werden.
Die Mitglieder des Ausschusses unterhielten sich sehr höflich mit Eléonore. Sie glaubten nicht unbedingt, dass Robespierre, wie Dr. Souberbielle meinte, in einem Monat wieder auf den Beinen sein würde; Eléonore begriff, dass man sie im Falle seines Todes als die Witwe Robespierre behandeln würde, so wie Simone Evrard als die Witwe Marat galt.
Die Tage verstrichen. Souberbielle erlaubte ihm, mehr Besucher zu empfangen, zu lesen, zu schreiben – aber nur private Briefe. Er durfte sich die Neuigkeiten des Tages berichten lassen, sofern sie nicht zu aufregend waren, aber die Neuigkeiten waren immer aufregend.
Saint-Just kam zurück. Wir kommen gut voran im Ausschuss, sagte er. Wir werden die Faktionen zerschlagen. Redet Danton immer noch von Friedensverhandlungen?, fragte er. Ja, sagte Saint-Just. Aber er ist der Einzige. Gute Republikaner reden vom Sieg.
Saint-Just war jetzt sechsundzwanzig Jahre alt. Ein gutaussehender, sehr energischer Mann. Er sprach in kurzen Sätzen. Sprich von der Zukunft, sagte Robespierre. Worauf er von seiner Spartanischen Republik erzählte. Um einen neuen Menschenschlag heranzuziehen, sagte er, werde man die Kinder im Alter von fünf Jahren ihren Eltern wegnehmen und sie zu Bauern, Soldaten oder Gesetzgebern machen. Auch die kleinen Mädchen?, fragte Robespierre. O nein, die sind unwichtig, die bleiben zu Hause bei ihrer Mutter.
Robespierres Hände fuhren nervös über die Bettdecke. Er dachte an seinen Patensohn einen Tag nach der Geburt, das schwankende Köpfchen von den langen Fingern seines Vaters gestützt; an seinen Patensohn vor ein paar Wochen, als er seinen Mantelkragen umklammert und eine Rede gehalten hatte. Aber er war zu schwach, um zu streiten. Man erzählte sich, Saint-Just sei jetzt mit Henriette Lebas verbunden, der Schwester von Babettes Mann Philippe. Aber das glaubte er nicht; er glaubte nicht, dass Saint-Just mit irgendwem verbunden war, wer auch immer das sein sollte.
Er wartete, bis Eléonore das Zimmer verlassen hatte. Er war wieder kräftiger. Er winkte Maurice Duplay herbei. »Ich möchte zu Camille.«
»Meinen Sie wirklich, das ist eine gute Idee?«
Duplay ließ nach ihm schicken. Eléonore schien seltsamerweise weder erfreut noch verärgert.
Als Camille kam, unterhielten sie sich nicht über Politik und auch sonst nicht über die vergangenen Jahre. Ein einziges Mal erwähnte Camille Danton, dabei wandte er den Kopf ab, seine alte Geste sturen Eigensinns. Sie redeten über die Vergangenheit, ihre gemeinsame Vergangenheit, mit der gezwungenen Fröhlichkeit von Menschen, die wissen, dass eine Leiche im Haus liegt.
Wieder allein, lag er da und träumte von der Republik der Tugend. Fünf Tage vor seiner Erkrankung hatte er ihre Grundzüge definiert. Er hatte eine Republik der Gerechtigkeit, der Gemeinschaft, der Selbstaufopferung im Sinn, sah ein freies Volk vor sich: sanft, bäuerlich und gelehrt. Das Dunkel des Aberglaubens würde aus dem Leben der Menschen geschwunden sein wie Brackwasser, das im Boden versickert. Stattdessen würde allenthalben die rationale, heitere Verehrung des Höchsten Wesens erblühen. Diese Menschen waren glücklich, ihr Herz wurde nicht von Fragen ohne Antworten, ihr Körper nicht von unerfüllbaren Begierden gepeinigt. Die Männer widmeten sich mit Ernst und Esprit den Regierungsgeschäften, sie unterwiesen ihre Kinder und aßen, was sie auf ihrem eigenen Grund und Boden angebaut hatten: schlicht und reichlich. Hunde und Katzen, die Tiere des Feldes: Sie alle wurden geachtet, so wie sie waren. Bekränzte Mädchen in Gewändern aus fließendem hellem Leinenstoff wandelten gemessen zwischen weißen Marmorsäulen umher. Er sah den dunkelgrünen Schimmer von Olivenhainen, den emailleblauen Himmel.
»Sehen Sie sich das mal an«, sagte Robert Lindet. Er entrollte eine Zeitung, und ein Stück Brot fiel heraus. »Fühlen Sie mal«, sagte er. »Probieren Sie es, bitte.«
Es zerkrümelte zwischen seinen Fingern. Roch säuerlich, modrig. »Ich dachte mir, dass Sie davon wahrscheinlich gar nichts wissen«, sagte Robert Lindet, »wenn Sie sich wie üblich von Orangen ernähren. Dieses Zeug hier gibt es im Moment reichlich, aber Sie sehen ja, was für eine Qualität das ist. Davon kann man nicht leben. Milch gibt es auch nicht, und die Ärmeren verwenden normalerweise viel Milch. Und was Fleisch angeht, können sich die Leute glücklich schätzen, wenn sie einen Suppenknochen ergattern. Die Frauen stehen ab drei Uhr morgens vor
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