Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
Vom Netzwerk:
eins zum andern, und der Moment verstrich. Sie umklammerte die Sofalehne und stand wankend auf.
    »Verzeihung«, sagte er. »Das war etwas plump.«
    Er zitterte ein wenig.
    »Was fällt Ihnen ein!«
    Er hob die offene Hand. »Ich begehre Sie, Annette.«
    »Das ist absolut indiskutabel.« Sie stand inmitten der verstreuten Zettel und Papiere und trat nun vorsichtig zur Seite. Auf dem Boden lag auch ein Gedicht von ihm, in eine Hutmacherrechnung gefaltet, die sie vor Claude hatte verbergen müssen. Camille, dachte sie, würde eine Frau nie im Leben nach dem Preis ihrer Hüte fragen. Dazu ließe er sich nicht herab – nein, es käme ihm gar nicht erst in den Sinn. Sie fand es plötzlich notwendig, aus dem Fenster zu schauen (obwohl es ein trüber, nicht eben vielversprechender Wintertag war), und sich auf die Lippen zu beißen, damit sie nicht mehr bebten.
    Seit einem Jahr ging das nun so.
    Sie unterhielten sich übers Theater, über Bücher und gemeinsame Bekannte, aber in Wirklichkeit unterhielten sie sich doch nur über eines, nämlich ob sie mit ihm ins Bett gehen würde. Sie sagte, was man in solchen Situationen sagt. Er sagte, ihre Argumente seien abgedroschen, das übliche Gerede von Leuten, die Angst vor sich selbst hätten, Angst davor, nach ihrem Glück zu streben, weil Gott sie dafür strafen könnte, und die an ihrer Sittenstrenge und ihren Schuldgefühlen zu ersticken drohten.
    Sie dachte (insgeheim), dass sie niemanden kannte, der so viel Angst vor sich selbst hatte wie er, und das mit gutem Grund.
    Sie sagte, sie werde ihre Haltung nicht ändern, aber natürlich könnten sie die Diskussion noch endlos fortführen. Nicht endlos, wandte er ein, jedenfalls nicht im wörtlichen Sinn, sehr wohl allerdings, bis sie beide so alt geworden seien, dass ihr Interesse aneinander erloschen sei. Die Engländer machen das so, sagte er, im Unterhaus. Sie sah ihn schockiert an. Nein, nicht das, woran sie offenkundig denke – wenn jemand eine Maßnahme vorschlage, die einem nicht passe, könne man einfach aufstehen und anfangen, das Für und Wider auszuspinnen, bis alle nach Hause gingen oder die Sitzung ende und keine Zeit mehr bleibe. Filibustern nenne man das. Es könne sich über Jahre hinziehen. »Da ich mich«, sagte er, »so gern mit Ihnen unterhalte, wäre das nicht die unangenehmste Weise, mein Leben zu verbringen. Aber ich will Sie jetzt .«
    Nach dem einmaligen Zwischenfall war sie stets beherrscht gewesen und hatte ihn durchaus gekonnt abgewehrt. Nicht dass er sie je wieder angerührt hätte. Und er hatte es seinerseits nur selten zugelassen, dass sie ihn berührte. Wenn er sie versehentlich auch nur streifte, entschuldigte er sich. Es war besser so, fand er. Die menschliche Natur, die langen Nachmittage; die Mädchen zu Besuch bei Freundinnen, die Straßen menschenleer, das einzige Geräusch im Zimmer das Ticken der Uhren, das Pochen der Herzen.
    Sie hatte eigentlich vorgehabt, diese Nicht-Affäre nach eigenem Ermessen glatt und reibungslos zu beenden; als Nicht-Affäre hatte sie durchaus ihre Momente gehabt. Doch dann hatte Camille offensichtlich angefangen, mit jemandem darüber zu reden, oder einer der Freunde ihres Mannes hatte etwas bemerkt, jedenfalls wussten jetzt alle Bescheid. Claude hatte eine ganze Reihe interessierter Bekannter. Man disputierte in Ankleideräumen über die Angelegenheit (im königlichen Gerichtshof wurde sie aufmerksam beobachtet, in den Zivilgerichten hingegen – Kammer für Bürgertumsskandale – zum Skandal des Jahres erklärt); sie machte in den exklusiveren Cafés die Runde, und auch im Ministerium machte man sich seine Gedanken. In der Vorstellung der Klatschmäuler gab es keine Diskussionen, keine fein ausbalancierten Versuchungen und Gegenversuchungen, keine Gewissensqualen, keine Skrupel. Sie war attraktiv, gelangweilt, nicht mehr die Jüngste. Er war jung und hartnäckig. Natürlich waren sie … ja, was meinen Sie denn? Die Frage ist: seit wann? Und wann wird sich Duplessis entscheiden, hinzusehen?
    Claude mag taub und blind und stumm sein, dachte Annette, aber er ist kein Heiliger und kein Märtyrer. Ehebruch ist ein hässliches Wort. Es ist an der Zeit, das Ganze zu beenden – zu beenden, was nie begonnen hat.
    Aus irgendeinem Grunde erinnerte sie sich an die paar Gelegenheiten, da sie gedacht hatte, sie könnte wieder schwanger sein, damals, als Claude und sie noch keine getrennten Schlafzimmer gehabt hatten. Man denkt, es könnte sein, hat diese seltsamen

Weitere Kostenlose Bücher