Brüder und Schwestern
zusammengerufen hatte, und er tat es kurz und kommentarlos.
»Alle mal herhören«, rief er, »eine Besetzungsänderung. Werchow jongliert anstelle von Handy. Die Programmfolge bleibt. Ende der Durchsage.«
Daraufhin erhob sich aufgeregtes Gemurmel. Die überraschten Angestellten suchten mit ihren Blicken Britta und Marty. Beide standen nicht weit voneinander entfernt und zeigten sich gleichermaßen bestürzt. Britta war im Gesicht rot angelaufen und schüttelte entsetzt den Kopf, als habe sie soeben einen Mordauftrag erhalten, und Marty stammelte in einem fort: »Wieso denn das, wieso denn das?«
»Das weißt du«, antwortete Devantier scharf.
Marty trat vorsichtig auf ihn zu: »Was soll ich wissen, was denn, ich weiß überhaupt nichts.«
Devantier wurde jetzt wütend, wenigstens tat er so. Mit seinem Zeigefinger fuchtelte er Marty vor dem Gesicht herum: »Stell dich nicht so dumm! Du weißt es genau. Jeder hier«, er beschrieb mit seinem Arm einen Halbkreis, »jeder weiß Bescheid. Jeder hier hat genug gesehen! Willst du vielleicht, daß sie dir’s sagen? Willst du’s hören? Na los, Leute, sagt’s ihm! Na los, keine falsche Scheu!«
Betretenes Schweigen. Die meisten Versammelten starrten zu Boden. Einige räusperten sich. Da rief Marty in jammerndem Ton: »Ich war schlecht, Richard, in den letzten Tagen war ich schlecht, du hast ja recht, ich weiß es. Aber Richard, heute abend werde ich keine Fehler machen, kein einziges Fehlerchen wirst du von mir sehen, ich verspreche es dir, bitte gib mir noch diese eine Chance, bitte!«
Einige der Anwesenden stöhnten leise auf. Es war, als bereite Martys Unterwürfigkeit ihnen körperliche Schmerzen. Andere verfolgten seinen aussichtslosen Kampf mit einem distanziert-interessierten Blick, so, als würden sie beobachten, wie eine Stubenfliege immer wieder gegen die Scheibe prallt, bis sie schließlich auf dem Fensterbrett liegenbleibt.
»Wir sind hier nicht bei ›Wünsch dir was‹«, erwiderte Devantier.
»Aber wir kennen uns nun schon so lange, Richard, so lange. Wie viele Jahre sind wir wohl durch dick und dünn gegangen? Sag selbst, wie viele Jahre? Habe ich es da vielleicht verdient, so plötzlich …«
Weiter kam Marty nicht, denn mit einemmal begann Devantier zu brüllen: »Zu lange schon! Zu viele Jahre! Ich habe die Faxen dicke! Schluß mit der Nachsicht! Ich lasse mir von dir nicht den ganzen Laden ruinieren! Und Ende der Diskussion, ich kann hier nicht ewig diskutieren! Die Vorstellung ruft! Alle auf die Plätze, aber bißchen hurtig, wenn ich bitten darf!«
Die Versammelten traten ab, doch keine drei Sekunden später hielten alle schon wieder inne, denn noch einmal ließ sich Marty vernehmen, und jetzt so laut und so höhnisch, wie keiner ihn je gehört hatte: »Britta Werchow, daß ich nicht lache. Die kann’s wohl, ja? Was für ein Witz, die wird dir den Laden ruinieren, mein lieber Richard, aber das ist natürlich ganz was anderes, nicht wahr?« Er verfiel in ein stoßweises, wie meckerndes Lachen. »Hübsch eingewickelt hat sie dich. Ja, die versteht’s. Verstand verloren, sag ich nur, man kann bei ihr glatt den Verstand verlieren, denke nicht, ich hätte es nicht gehört. Ich weiß Bescheid, mein Lieber, ich weiß Bescheid. Und ich sage dir, was du genausogut weißt, ich sage es jedem: Sie kann überhaupt nicht jonglieren! Und sie wird es auch nie können! Amateurin! Lächerliche Dilettantin!«
In diesem Moment riß Elsa, die altgediente, korpulente Köchin, die nicht länger ansehen mochte, wie er sich um Kopf und Kragen redete, Marty am Arm und zischte ihm zu: »Sei still! So halt doch endlich den Mund!«
Marty aber war noch nicht fertig, Marty rief mit glasigem Blick und seltsamem Pathos: »Je mehr ich die Menschen kennenlerne, um so mehr liebe ich die Tiere hier, ihr – ihr Menschen!«
Auch Britta war auf ihn zugelaufen, um ihn zu beruhigen und um ihm und allen und nicht zuletzt Devantier zu sagen, Marty habe ja in einem Punkt vollkommen recht, sie sei doch noch gar nicht imstande, vor richtigem Publikum zu jonglieren; aber als sie hörte, was Marty da rief und wie er es rief, wußte sie, daß sie ihn jetzt nicht erreichen würde. Betroffen und hilflos schwieg sie.
Nun endlich zerstreute sich die Menge, und alle eilten auf ihre Positionen. Übrig blieben nur Britta, Devantier und der schon einen Tag nach seinen diversen Operationen aus dem Krankenhaus ausgebüxte, an so gut wie allen Körperteilen verbundene Leonelli. Er lag auf
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