Brüllbeton - Kriminalroman
Entomologie bislang an Erkenntnissen gewonnen habe. Das muss Ihren Beobachtungen nicht widersprechen.«
Der Lübecker Hauptkommissar musste bei den letzten Worten ein ziemlich blödes Gesicht gemacht haben, denn der Wissenschaftler erläuterte geduldig: »Wir untersuchen eine Leiche auf Insektenbesiedlung. Maden, SchmeiÃfliegen, Totengräber und so weiter.«
»Ist das nicht ein wenig ekelhaft?«, warf Kroll angewidert ein.
»Nein, absolut nicht. Man gewöhnt sich daran, wie sich ja auch jeder Pathologe an das Herumschnippeln an Leichen gewöhnt. Im Gegenteil, die Anwesenheit dieser, wie Sie sagen, âºekligenâ¹ Gesellen gibt uns Aufschluss nicht nur über die Bestimmung des Todeszeitpunktes, sondern auch über den Tatort, der, wie Sie wissen, nicht immer mit dem Fundort übereinstimmen muss.«
Der Mann nahm seine Brille ab, hauchte sie an und putzte sie umständlich mit einem sicherlich nicht bakterienfreien Tuch. »Nehmen wir zum Beispiel die Milben oder die Motten. Die fühlen sich auf bereits mumifizierten oder skelettierten Leichen wohl. Die werden Sie auf einer frischen Leiche selten finden. Und dann sind auch noch deren abgelegte Eier interessant. Wir hatten da mal einen Fall von einem Rentner, der monatelang tot in seinem Bett â¦Â«
Kroll, der sich eigentlich innerlich bereits darauf gefreut hatte, nach der ganzen Aktion die Flasche Spätburgunder Blanc de Noir ganz in Ruhe in seinem Hotelzimmer zu verkosten, verging der Appetit. »Ersparen Sie uns weitere Einzelheiten, bitte. Wichtiger wäre mir zu wissen, was mit der armen Mirja denn nun passiert ist«, unterbrach er ungeduldig den Wissenschaftler.
»Nun gut, ich versuche, es Ihnen so nervenschonend wie möglich darzulegen«, antwortete der Mann mit einem etwas spöttischen Seitenblick auf Kroll ob dessen zarter Seele. »Bei meiner ersten Untersuchung, die naturgemäà noch sehr oberflächlich war, habe ich in einer Kopfwunde eine Insektenart festgestellt, die es hier im Wald überhaupt nicht geben kann, weil der Boden dazu viel zu feucht ist. Weiters gehe ich davon aus, dass diese Wunde bereits vorhanden war, bevor die Person vom Felsen gestoÃen wurde. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie von einem überaus heftigen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand herrührt, was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum sofortigen Tod geführt hat. Vom Gefühl her würde ich sagen, dass das bereits mehrere Tage her ist. Genaueres überlasse ich einer Obduktion.«
Wieder folgte eine kleine Atempause, die Doktor Groth nutzte, um sich seine Brille mit einer eleganten Bewegung wieder aufzusetzen.
»Mit einem Wort: Fundort und Tatort sind nicht identisch.«
Kroll wollte erneut aufbegehren, aber der Mann lieà ihm keine Chance. »Was Sie da gesehen haben, muss eine geschickte Inszenierung gewesen sein. Da scheint jemand bewusst vor Ihren Augen mit der bereits toten Frau eine makabre Show abgeliefert zu haben. Soweit meine vorläufige Theorie. Alles Weitere werden Sie wohl selber herausfinden müssen.«
Arnsberg kratzte sich nachdenklich hinterm Ohr. »Das würde ja bedeuten, Kroll, dass ⦠Wenn ich das richtig sehe, hat man dich auserkoren, den Zeugen zu spielen. Alles fein eingefädelt, zeitlich gut aufeinander abgestimmt. SchlieÃlich bist du bei deiner Ankunft hier ja schon von Weitem zu sehen gewesen.«
Er stoppte unvermittelt seine Kratzbewegungen und presste den Mittelfinger gegen seine Schläfe. »Oder, was man auch nicht ausschlieÃen kann, ist, dass man auch dich töten wollte, um dich neben die Leiche zu legen, sodass es wie ein Eifersuchtsdrama zwischen dir und deiner Geliebten aussähe.«
Kroll wollte ihm in scharfer Form erwidern, er möge das mit der Geliebten vergessen. Da fiel ihm jedoch etwas anderes ein: »Wenn das zutrifft, was der Doktor hier gesagt hat, hätten wir im Grunde genommen eine erste Chance, den oder die Täter aufzuspüren. Wie es scheint, muss Mirja bereits am Freitag ums Leben gekommen sein, also kurz, nachdem ich sie zum Bus brachte. Wir sollten mal alle infrage kommenden Personen zu einem Verhör vorladen. Der, der dann am heftigsten auf seinem Alibi für heutigen Dienstag beharrt, könnte unser Mann sein!«
6. Kapitel â Spurensuche
Kriminaloberkommissar Jan Hopfinger war auf seinen Boss nicht gut zu sprechen. Kaum kehrte er von seinem
Weitere Kostenlose Bücher