Brunetti 02 - Endstation Venedig
unwahrscheinlich hielt. Ein Boot hieß Motorenlärm, und mitten in der Nacht bedeutete das wütende Gesichter an den Fenstern, die sehen wollten, was da soviel Krach machte.
»Danke, Danilo. Sagen Sie bitte den Tauchern, sie sollen an diesen beiden Stellen suchen - es hat Zeit bis morgen. Und bitten Sie Vianello, ein Team hinzuschicken, um die beiden Stellen zu überprüfen und zu sehen, ob es irgendein Anzeichen dafür gibt, daß es dort passiert ist.«
Bonsuan erhob sich mühsam, mit hörbar knackenden Kniegelenken. Er nickte.
»Wer ist unten, der mich zum Piazzale Roma und dann zur Friedhofsinsel fahren kann?«
»Monetti«, nannte Bonsuan einen der anderen Bootsführer.
»Könnten Sie ihm sagen, daß ich in etwa zehn Minuten losfahren möchte?«
Mit einem Nicken und einem gemurmelten »Ja, Commissario«, ging Bonsuan.
Brunetti merkte plötzlich, wie hungrig er war. Er hatte seit dem Morgen nur drei Sandwichs gegessen, weniger sogar, denn eines hatte Orso verschlungen. Er zog die unterste Schublade seines Schreibtischs auf, ob er nicht irgend etwas fand, vielleicht eine Täte buranei, diese S-förmigen Kekse, die er so mochte und gewöhnlich seinen Kindern abjagen mußte, einen alten Schokoriegel, irgend etwas, aber die Schublade war genauso leer wie das letzte Mal, als er dort nach etwas Eßbarem gesucht hatte.
Dann also Kaffee. Aber das würde heißen, daß Monetti einen Halt einlegen müßte. Daß dieses simple Problem ihn so ärgerlich machte, war ein Gradmesser für seinen Hunger. Doch dann fielen ihm die Damen unten im Ufficio Stranieri ein; sie hatten eigentlich immer etwas für ihn, wenn er betteln kam.
Er ging über die Hintertreppe ins Erdgeschoß, durch die großen Doppeltüren und in das Büro. Sylvia, klein und dunkel, und Anita, groß, blond und attraktiv, saßen sich an ihren Schreibtischen gegenüber und blätterten in Papierstapeln, die offenbar nie abnahmen.
»Buona sera «, sagten beide, als er hereinkam, und beugten sich wieder über die grünen Aktendeckel, die vor ihnen ausgebreitet lagen.
»Habt ihr irgendwas zu essen?« fragte er, mehr hungrig als charmant.
Sylvia lächelte und schüttelte stumm den Kopf; er kam nur zu ihnen ins Büro, wenn er um etwas Eßbares betteln oder ihnen sagen wollte, daß einer ihrer Bewerber um eine Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis festgenommen worden war und aus ihren Listen und Akten gestrichen werden konnte.
»Kriegen Sie denn zu Hause nichts zu essen?« fragte Anita, doch gleichzeitig zog sie eine Schublade ihres Schreibtischs auf und nahm eine braune Papiertüte heraus. Sie öffnete sie und holte erst eine, dann zwei, dann drei reife Birnen heraus, die sie für ihn gut erreichbar auf ihren Schreibtisch legte.
Vor drei Jahren hatte einmal ein Algerier, dem die Aufenthaltsgenehmigung verweigert worden war, bei dieser Mitteilung durchgedreht und Anita an den Schultern gepackt und über den Schreibtisch gezogen. Während er sie festhielt und sie auf arabisch wütend beschimpfte, war Brunetti hereingekommen, um sich einen Ordner zu holen. Ohne viel Federlesens hatte er dem Mann einen Arm um den Hals gelegt und ihn gewürgt, bis er Anita losließ, die verschreckt und schluchzend auf ihrem Schreibtisch zusammensackte. Niemand hatte je ein Wort über den Zwischenfall verloren, aber Brunetti wußte, daß in ihrem Schreibtisch immer etwas zu essen für ihn war.
»Grazie, Anita«, sagte er und nahm eine der Birnen. Er entfernte den Stiel und biß hinein. Sie war reif und süß. Mit fünf raschen Bissen hatte er sie vertilgt und griff nach der zweiten. Ein bißchen weniger reif, aber immer noch süß und weich. Die beiden feuchten Kerngehäuse in der Hand, nahm er sich die dritte Frucht, bedankte sich noch einmal und ging, gestärkt für die Fahrt zum Piazzale Roma und seinem Treffen mit Doctor Peters. Captain Peters.
4
Er kam zwanzig Minuten vor sieben bei der Carabinieristation am Piazzale Roma an und ließ Monetti in der Polizeibarkasse zurück, um auf ihn und die Ärztin zu warten. Auch wenn es zweifellos etwas über seine Vorurteile aussagte, fand er es angenehmer, sie als Ärztin zu sehen statt als Captain. Er hatte vorher angerufen, so daß die Carabinieri ihn schon erwarteten. Es war der übliche Haufen, die meisten aus dem Süden, und nie schienen sie die verräucherte Wache zu verlassen, deren Sinn und Zweck Brunetti sowieso nicht verstand. Carabinieri hatten nichts mit dem Verkehr zu tun, und Verkehr war das einzige, was es hier auf dem
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