Brunetti 04 - Vendetta
sagen oder mich fragen möchten, es bleibt unter uns.« Und bevor sie etwas sagen konnte, fügte er hinzu: »Nicht wenn es um ein Verbrechen geht. Aber wenn Sie mir nur etwas mitteilen oder etwas von mir erfahren wollen, bleibt es unter uns.«
»Ganz inoffiziell?«
»Ganz inoffiziell.«
»Wie heißen Sie eigentlich?« fragte sie.
»Guido«, antwortete er.
Es schien sie zu amüsieren, daß er ihr seinen richtigen Namen genannt hatte. »Guido der Rohrleger?«
Er nickte.
Sie biß noch einmal ab und wiederholte: »Man hört so manches«, worauf sie die neuen Krümel wegwischte. »Wissen Sie, wenn etwas passiert, spricht sich das herum. Und wenn wir das eine oder andere hören, wissen wir eigentlich nie genau, wo oder von wem wir es gehört haben.«
»Was haben Sie denn gehört, Mara?«
»Daß jemand unsereins umbringt.« Kaum hatte sie es gesagt, schüttelte sie den Kopf. »Nein, das ist verkehrt. Nicht umbringt. Aber es sterben welche von uns.«
»Ich verstehe den Unterschied nicht«, sagte Brunetti.
»Da war einmal diese Kleine. Ich weiß ihren Namen nicht mehr, die kleine Jugoslawin. Sie ist im Sommer umgekommen, und dann Anja, die aus Bulgarien, die hat es draußen im Gelände erwischt. Die Kleine kannte ich nicht, aber Anja kannte ich. Sie ging mit jedem.«
Brunetti erinnerte sich an diese Verbrechen, erinnerte sich auch, daß die Polizei nie auch nur die Namen der Opfer herausbekommen hatte.
»Und dann der Lastwagen, der von der Straße abgekommen ist.« Sie stockte und sah ihn an. Irgend etwas klingelte bei dieser Formulierung, aber Brunetti erinnerte sich an nichts Bestimmtes.
Als er schwieg, fuhr sie fort: »Eines von den Mädchen sagt, sie hat gehört - sie wußte aber nicht mehr, wo -, daß die Mädchen für hier bestimmt waren. Ich habe vergessen, von woher.«
»Um als Prostituierte zu arbeiten?« fragte er und bereute die Frage sofort.
Sie ging auf Abstand zu ihm und verstummte. Der Ausdruck ihrer Augen veränderte sich, als hätte sich ein Schleier darüber gesenkt. »Ich erinnere mich nicht.«
Brunetti hörte an ihrer Stimme, daß sie ihm entglitten war, daß seine Frage den dünnen Faden durchtrennt hatte, der sie vorübergehend verbunden hatte.
»Haben Sie darüber jemals etwas verlauten lassen...?« fragte er.
»Der Polizei gegenüber?« beendete sie seinen Satz mit einem verächtlichen Schnauben. Sie warf den Rest des Sandwichs, den sie noch in der Hand hatte, aufs Tablett. »Wollen Sie Anzeige gegen mich erstatten?«
»Nein«, sagte Brunetti.
»Dann kann ich also gehen?« Die Frau, mit der er gesprochen hatte, war weg, und statt ihrer saß da wieder die Hure, die ihn mit in ihr Zimmer genommen hatte.
»Ja, Sie können gehen, wann immer Sie wollen.« Bevor sie aufstehen konnte, fragte Brunetti noch: »Ist es auch nicht gefährlich für Sie, wenn Sie vor ihm gehen?« Dabei deutete er mit dem Kinn zu der Wand, hinter der Franco nicht saß.
»Ach der«, meinte sie, verächtlich die Backen plusternd.
Brunetti ging zur Tür und klopfte. »Die Signorina geht jetzt«, sagte er, als Gravini öffnete.
Sie nahm ihre Jacke von der Stuhllehne und ging ohne ein Wort an Brunetti vorbei nach draußen. Als sie fort war, sah er Gravini an. »Danke für den Kaffee«, sagte er und nahm die Akte, die Gravini noch immer in der Hand hielt.
»Nichts zu danken, Dottore.«
»Wenn Sie noch das Tablett wegbringen könnten. Ich werde jetzt mit dem Mann reden.«
»Soll ich noch mal Zigaretten besorgen, Commissario? Oder Kaffee?« fragte Gravini.
»Nein, ich glaube nicht. Jedenfalls nicht, bevor ich meine fünfzigtausend Lire von Franco zurückbekommen habe«, antwortete Brunetti und ging in das andere Zimmer.
Ein einziger Blick genügte, um Brunetti alles zu sagen, was er über Franco wissen mußte: Franco war ein harter Bursche, Franco ließ sich nicht unterkriegen, Franco hatte keine Angst vor Polizisten. Aber aus der Akte, die er bei sich hatte, und aus della Cortes Bemerkung wußte Brunetti auch, daß Franco heroinabhängig war und sich seit über zehn Stunden in Polizeigewahrsam befand.
»Guten Morgen, Signor Silvestri«, sagte Brunetti so freundlich, als wäre er gekommen, um mit ihm über die Fußballergebnisse vom Wochenende zu plaudern.
Silvestri ließ die Arme sinken, die er vor der Brust verschränkt hatte, und sah Brunetti an, den er sofort erkannte. »Der Rohrleger«, sagte er und spuckte auf den Boden.
»Bitte, Signor Silvestri«, antwortete Brunetti geduldig, wahrend er sich einen
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