Brunetti 04 - Vendetta
der beiden freien Stühle heranzog und sich setzte. Er klappte die Akte wieder auf und sah sich die Blätter an, schlug das oberste um und las von dem darunterliegenden vor: »Körperverletzung, Zuhälterei - und hier sehe ich, daß Sie auch schon wegen Drogenhandels festgenommen worden sind. Das war ... Moment.« Er blätterte zur ersten Seite zurück: »Das war im Januar letzten Jahres. Also, zwei Anzeigen, Geld genommen zu haben, das einer Prostituierten angeboten wurde, das dürfte Ihnen einigen Ärger einbringen, aber ich vermute, daß... «
Silvestri fiel ihm ins Wort. »Hören Sie mal, kommen wir zur Sache, Sie Rohrleger. Sagen Sie schon, was Sie mir zur Last legen, dann rufe ich meinen Anwalt an, und der kommt her und holt mich raus.« Brunetti warf einen flüchtigen Blick in Silvestris Richtung und sah, wie dieser die zu Fäusten geballten Hände an seine Seiten gepreßt hielt, sah auch den dünnen Schweißfilm auf seiner Stirn.
»Das würde ich ja nur zu gern tun, Signor Silvestri, aber ich fürchte, was wir hier haben, ist eine viel ernstere Angelegenheit als das, was in Ihrer Akte steht.« Brunetti klappte die Mappe zu und schlug sich damit aufs Knie. »Es ist im Grund sogar etwas, was weit über die Zuständigkeit der städtischen Polizei hinausgeht.«
»Was soll denn das heißen?«
Brunetti sah, wie der Mann sich zwang, seine Fäuste zu öffnen und die Hände scheinbar ganz gelassen auf seine Oberschenkel zu legen.
»Das soll heißen, daß die Bar, in der Sie verkehren, seit einiger Zeit beobachtet wird und das Telefon angezapft wurde.«
»Von wem?« fragte Silvestri.
»Vom SISMI«, erklärte Brunetti. »Ganz genau gesagt, von der Anti-Terror-Einheit.«
»Anti-Terror-Einheit?« wiederholte Silvestri verständnislos.
»Ja, allem Anschein nach haben da Leute verkehrt, die in den Bombenanschlag auf das Museum in Florenz verwickelt waren«, reimte Brunetti sich aus dem Stegreif zusammen. »Ich dürfte Ihnen das wohl eigentlich nicht erzählen, aber da Sie nun offenbar mit drinhängen, wüßte ich nicht, warum wir nicht darüber reden sollten.«
»Florenz?« Silvestri konnte nur noch das Gehörte wiederholen.
»Ja. Offenbar diente das Telefon in dieser Bar zur Übermittlung von Nachrichten. Die Jungs hören da schon seit einem Monat mit. Alles ganz im gesetzlichen Rahmen - richterlicher Beschluß.« Brunetti wedelte mit der Mappe. »Als meine Leute Sie gestern abend festnahmen, habe ich den anderen klarzumachen versucht, daß Sie nur ein kleiner Fisch sind, der uns gehört, aber die hören nicht auf mich.«
»Was heißt das?« fragte Silvestri in einem Ton, aus dem alle Wut gewichen war.
»Das heißt, Sie werden nach den Anti-Terror-Gesetzen in Gewahrsam genommen.« Brunetti stand auf. »Es ist nur ein Mißverständnis zwischen einzelnen Dienststellen, Sie verstehen, Signor Silvestri. Man wird Sie achtundvierzig Stunden festhalten.«
»Aber mein Anwalt?«
»Den können Sie danach anrufen, Signor Silvestri. Es sind ja nur achtundvierzig Stunden, und Sie haben bereits« - er hielt inne, schob seine Manschette hoch und sah auf die Uhr - »zehn davon hinter sich. Sie brauchen also nur noch anderthalb Tage warten, dann dürfen Sie Ihren Anwalt anrufen, der Sie hier bestimmt in Null Komma nichts wieder rausholt.« Brunetti lächelte.
»Wozu sind Sie hier?« fragte Silvestri mißtrauisch.
»Da es einer von meinen Leuten war, der Sie festgenommen hat, dachte ich, also, ich hatte das Gefühl, daß ich Sie gewissermaßen hineingezogen habe, und darum fand ich, es wäre das mindeste, daß ich mal vorbeikomme und Ihnen die Sache erkläre. - Ich hatte schon früher mit diesen Leuten vom SISMI zu tun«, sagte Brunetti resigniert, »und die sind wirklich unbelehrbar. Sie können einen nach dem Gesetz achtundvierzig Stunden lang festhalten, ohne irgend jemanden zu benachrichtigen, und ich fürchte, damit müssen wir ganz einfach leben.« Er sah wieder auf seine Uhr. »Die Zeit wird Ihnen bestimmt wie im Flug vergehen, Signor Silvestri. Wenn Sie gern ein paar Illustrierte hätten, sagen Sie es nur dem Mann vor der Tür, ja?« Damit erhob Brunetti sich und wollte gehen.
»Bitte«, sagte Silvestri - sicher das erste Mal in seinem Leben, daß er zu einem Polizisten ›bitte‹ sagte. »Bitte, gehen Sie nicht.«
Brunetti drehte sich um und hielt unverhohlen neugierig den Kopf schief. »Ist Ihnen eingefallen, welche Zeitschrift Sie gern hätten? Panorama? Ambiente? Famiglia Cristiana?«
»Was wollen Sie von
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