Brunetti 05 - Acqua alta
sah ihn an. »Wie meinst du das?«
»Von einem, der Schwule nicht mag.« Brunetti machte eine Pause und fügte hinzu: »Patta.«
Paola schloß einmal kurz die Augen, dann fragte sie: »Worum ging es?«
»Erinnerst du dich an Dottoressa Lynch?«
»Die Amerikanerin? Die in China ist?«
»Ersteres ja, letzteres nein. Sie ist wieder hier. Ich habe sie heute im Krankenhaus besucht.«
»Was ist denn los?« fragte Paola ehrlich besorgt, während ihre Hände plötzlich über den Büchern stillhielten.
»Sie wurde zusammengeschlagen. Von zwei Männern. Sie sind am Sonntag in ihre Wohnung gekommen, angeblich in einer geschäftlichen Angelegenheit, und nachdem sie ihnen aufgemacht hatte, sind sie über sie hergefallen.«
»Ist sie schwer verletzt?«
»Nicht so schlimm, wie man hätte fürchten können, Gott sei Dank.«
»Was heißt das, Guido?«
»Sie hat einen angeknacksten Kiefer, ein paar Rippenbrüche und ziemlich böse Schürfwunden.«
»Wenn du das nicht so schlimm nennst, schaudert mich bei der Vorstellung, was dann schlimm wäre«, meinte Paola. »Wer hat das getan? Und warum?«
»Es könnte mit dem Museum zusammenhängen, aber es könnte auch etwas mit dem zu tun haben, was meine amerikanischen Kollegen beharrlich als ›lifestyle‹ bezeichnen.«
»Du meinst, daß sie lesbisch ist?«
»Ja.«
»Aber das ist doch verrückt.«
»Ganz deiner Meinung. Aber darum nicht weniger wahr.«
»Fängt das hier jetzt auch an?« Eine rein rhetorische Frage. »Ich dachte, so was gibt es nur in Amerika.«
»Fortschritt, meine Liebe.«
»Aber wieso meinst du, das könnte der Grund sein?«
»Sie hat mir gesagt, die Männer hätten über sie und Signora Petrelli Bescheid gewußt.«
Paola konnte vorschnellen Schlüssen selten widerstehen. »Bevor sie damals nach China ging, hättest du in Venedig kaum jemanden gefunden, der über sie und Signora Petrelli nicht Bescheid wußte.«
Brunetti, der lieber genauer hinsah, widersprach: »Das ist übertrieben.«
»Gut, mag sein. Aber geredet wurde damals schon«, beharrte Paola.
Brunetti beließ es dabei, nachdem er sie schon einmal korrigiert hatte. Außerdem bekam er immer mehr Hunger und wollte gern essen.
»Warum hat das nicht in den Zeitungen gestanden?« fragte Paola unvermittelt.
»Es ist am Sonntag passiert. Ich habe es selbst erst heute morgen erfahren, und auch nur deshalb, weil ihr Name jemandem im Protokoll aufgefallen war. Die Sache war in den Händen der uniformierten Kollegen und wurde als Routinefall behandelt.«
»Routine?« wiederholte sie erstaunt. »Guido, solche Sachen passieren hier nicht.«
Brunetti verzichtete darauf, seinen Hinweis auf den Fortschritt zu wiederholen, und Paola wandte sich, als sie merkte, daß er keine Erklärung anzubieten hatte, wieder ihrem Schreibtisch zu. »Ich kann jetzt nicht länger danach suchen. Muß mir etwas anderes einfallen lassen.«
»Kannst du nicht einfach lügen?« schlug Brunetti obenhin vor.
Paola blickte abrupt auf und fragte: »Was meinst du damit, lügen?«
Für ihn war das vollkommen klar. »Denk dir einfach eine Stelle in einem der Bücher aus, wo das Zitat stehen könnte, und dann sagst du ihnen, daß es da steht.«
»Aber wenn sie das Buch gelesen haben?«
»Er hat doch unzählige Briefe geschrieben, oder?« Brunetti wußte genau, daß dies so war: Die Briefe hatten sie vor zwei Jahren nach Paris begleitet.
»Und wenn sie wissen wollen, in welchem Brief?«
Er fand es nicht nötig, auf eine so dumme Frage zu antworten.
»An Edith Wharton, 26. Juli 1906«, behauptete sie prompt in diesem Ton absoluter Gewißheit, mit dem sie, wie Brunetti schon wußte, stets ihren abenteuerlichsten Erfindungen Glaubwürdigkeit verlieh.
»Klingt gut«, meinte er lächelnd.
»Finde ich auch.« Sie klappte das letzte Buch zu, sah auf die Uhr und dann zu ihm hinüber. »Es ist schon fast sieben. Gianni hatte heute wunderbare Lammkoteletts. Komm mit in die Küche, trink ein Glas Wein und unterhalte mich, während ich sie brate.«
Dante hatte, soweit Brunetti sich erinnerte, die schlechten Ratgeber damit bestraft, daß er sie mit riesigen Flammenzungen umgab, zwischen denen sie auf ewig schmoren mußten. Von Lammkoteletts war da seines Wissens nicht die Rede gewesen.
7
Als die Geschichte schließlich am nächsten Tag in den Zeitungen stand, erschien sie unter der Schlagzeile »Versuchter Raub in Cannaregio« und wurde in kürzester Form abgehandelt. Brett wurde als Expertin für chinesische Kunst dargestellt, die
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