Brunetti 05 - Acqua alta
in offiziellen Unterlagen nicht auftauchte, einen von der Art, die nie schriftlich festgehalten wird.
Vor vier Jahren hatte er mit einem Capitano des Sonderdezernats in Rom korrespondiert, als es um das Teilstück eines gotischen Altars ging, das aus der Kirche San Giacomo dell'Orio gestohlen worden war, Giulio Soundso, der Familienname fiel Brunetti nicht ein. Er griff nach dem Telefonhörer und wählte Signorina Elettras Nummer.
»Ja, Commissario?« fragte sie, nachdem er sich gemeldet hatte.
»Haben Sie schon eine Antwort von Heinegger oder Ihren Freunden bei der Bank?«
»Heute nachmittag, Commissario.«
»Gut. Bis dahin könnten Sie in der Ablage für mich nach einem Namen suchen, einem Capitano im Dezernat für Kunstdiebstahl in Rom, Giulio irgendwas. Ich habe mit ihm korrespondiert, als dieses Stück vom Altar in San Giacomo dell'Orio gestohlen worden war. Vor vier Jahren, vielleicht auch vor fünf.«
»Wissen Sie, unter welchem Stichwort das abgelegt sein könnte?«
»Entweder unter meinem Namen, da ich den ursprünglichen Bericht geschrieben habe, oder unter dem Namen der Kirche, eventuell auch unter Kunstdiebstahl.« Er überlegte kurz und fügte dann hinzu: »Sie könnten auch in der Akte eines gewissen Sandro - Alessandro, meine ich - Benelli nachsehen, der damals in San Lio wohnte. Ich glaube, er ist noch im Gefängnis, aber möglicherweise wird darin der Capitano erwähnt. Soweit ich mich erinnere, hat er damals bei der Gerichtsverhandlung ausgesagt.«
»Gut, Commissario. Heute noch?«
»Ja, bitte, Signorina, wenn es geht.«
»Ich gehe gleich mal in die Ablage und sehe nach. Vielleicht finde ich noch vor der Mittagspause etwas.«
Der Optimismus der Jugend. »Vielen Dank, Signorina«, sagte er und legte auf. Im selben Moment klingelte sein Telefon, und es war Lele.
»Ich konnte nicht reden, Guido. Ich hatte jemanden bei mir, der dir in dieser Sache nützlich sein könnte.«
»Wen?« Als Lele nicht antwortete, rief Brunetti sich in Erinnerung, daß für ihn nur die Information wichtig war, nicht der Informant. »Entschuldige, Lele. Vergiß, daß ich gefragt habe. Was hast du erfahren?«
»Wie es aussieht, war Dottor Semenzato ein vielseitig interessierter Mann. Er war nicht nur Direktor des Museums, sondern auch stiller Teilhaber von zwei Antiquitätengeschäften, einem hier in Venedig, einem in Mailand. Der Mann, mit dem ich gesprochen habe, arbeitet in einem der beiden.«
Brunetti widerstand dem Drang zu fragen, in welchem, und schwieg. Lele würde ihm schon sagen, was er für nötig hielt.
»Offenbar kommt der Inhaber dieser Geschäfte - nicht Semenzato, sondern der offizielle - an Stücke heran, die nie im Handel auftauchen. Mein Gesprächspartner sagte mir, es seien zweimal Sendungen versehentlich im Laden gelandet und ausgepackt worden. Als der Besitzer sie sah, habe er sie sofort wieder einpacken und mit der Bemerkung wegschaffen lassen, sie seien für seine eigene Sammlung bestimmt.«
»Konnte er dir sagen, worum genau es sich bei diesen Stücken handelte?«
»Ja, eines war eine chinesische Bronzefigur, das andere eine vorislamische Keramik. Er sagte mir auch, und das interessiert dich wahrscheinlich, er sei ziemlich sicher, die Keramik schon einmal gesehen zu haben, und zwar auf dem Foto zu einem Artikel über gestohlene Stücke aus dem Museum in Kuwait.«
»Wann war das?« fragte Brunetti.
»Das erstemal vor einem Jahr, und dann vor drei Monaten«, antwortete Lele.
»Hat er dir noch mehr erzählt?«
»Er sagt, der Inhaber hat eine Reihe von Kunden, die Zugang zu seiner Privatsammlung haben.«
»Woher wußte er das?«
»Sein Chef hat diesen Kunden gegenüber manchmal Stücke erwähnt, die er offenbar besaß, aber nicht im Laden hatte. Oder er hat einen dieser Kunden angerufen und ihm mitgeteilt, er bekomme ein bestimmtes Stück zu diesem oder jenem Termin; nur ist es im Laden dann nie aufgetaucht. Aber später hatte er den Eindruck, daß ein Verkauf stattgefunden hatte.«
»Warum erzählt er dir so etwas, Lele?« fragte Brunetti wider besseres Wissen.
»Wir haben vor Jahren in London zusammengearbeitet, und ich konnte ihm damals ein paarmal gefällig sein.«
»Und woher wußtest du, daß du ausgerechnet ihn fragen mußtest?«
Anstatt das krummzunehmen, lachte Lele. »Ach, ich habe hier und dort Fragen über Semenzato gestellt, und irgend jemand hat mir geraten, mich doch mal an meinen Freund zu wenden.«
»Danke, Lele.« Brunetti wußte, wie alle Italiener, daß
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