Brunetti 06 - Sanft entschlafen
schon heute nacht gesagt habe. Er war auf der Stelle tot.«
»Aber könnte er geschlagen oder gestoßen worden sein?«
»Es wäre möglich, Guido, aber Sie kriegen mich nicht dazu, so etwas zu sagen, jedenfalls nicht amtlich.«
Brunetti widersprach lieber nicht. Er dankte dem Arzt und legte auf.
Pavese, der Fotograf von der Spurensicherung, sagte am Telefon, Brunetti solle besser ins Labor herunterkommen und sich die Bilder selbst ansehen. Als er hinkam, sah er vier Vergrößerungen, zwei in Farbe und zwei in Schwarzweiß, an die Korkwand im Labor geheftet.
Brunetti stellte sich davor und betrachtete sie, wobei er den Kopf ruckartig immer weiter nach vorn bewegte, bis er die Bilder schon fast mit der Nasenspitze berührte. Da sah er im linken unteren Quadranten zwei schwache parallele Striche. Er legte den Finger darauf und drehte sich zu Pavese um: »Die hier?«
»Ja«, antwortete der Fotograf und kam zu ihm. Sanft schob er mit dem Radiergummi am Ende seines Bleistifts Brunettis Finger beiseite und fuhr den beiden Strichen nach.
»Schleifspuren?« fragte Brunetti.
»Kann sein. Kann aber auch vieles andere sein.«
»Haben Sie sich die Schuhe angesehen?«
»Das hat Foscolo gemacht. Die Absätze sind hinten abgescheuert, aber an vielen Stellen.«
»Könnte man die Spuren an den Schuhen mit denen hier in Beziehung bringen?« fragte Brunetti.
Pavese schüttelte den Kopf. »Nicht überzeugend.«
»Aber er könnte ins Bad geschleift worden sein?« »Ja«, sagte Pavese, fügte jedoch ebenso schnell hinzu: »Aber es kann auch vieles andere gewesen sein. Ein Koffer. Ein Stuhl. Ein Staubsauger.«
»Was war es Ihrer Meinung nach, Pavese?«
Pavese tippte, bevor er antwortete, mit dem Bleistift auf das Foto. »Ich weiß nur, was ich hier sehe, Commissario. Zwei parallele Striche auf dem Boden. Kann alles mögliche sein.«
Brunetti wußte, daß er aus dem Fotografen nicht mehr herausbekommen würde, also bedankte er sich und ging wieder hinauf in sein Zimmer.
Auf seinem Schreibtisch lagen zwei Zettel in Signorina Elettras Handschrift. Auf dem ersten teilte sie ihm mit, daß eine Frau namens Stefania angerufen hatte und um Rückruf bat. Auf dem zweiten stand, daß Signorina Elettra ihm etwas »in der Angelegenheit dieses Priesters« zu sagen habe. Sonst nichts.
Brunetti wählte Stefanias Nummer und bekam wieder diese fröhliche Begrüßung zu hören, der zu entnehmen war, daß auf dem Immobilienmarkt Flaute herrschte.
»Hier Guido. Bist du diese Wohnung in Canareggio los?«
Stefanias Stimme wurde wärmer. »Morgen nachmittag soll der Vertrag unterschrieben werden.«
»Und jetzt zündest du Kerzen an, damit es kein acqua alta. gibt?«
»Guido, wenn ich damit das Wasser fernhalten könnte, bis der Vertrag unterschrieben ist, würde ich auf allen vieren nach Lourdes kriechen.«
»So schlecht geht das Geschäft?«
»Das kannst du dir gar nicht vorstellen.«
»Verkaufst du sie an diese Deutschen?« fragte er.
»Ja.«
»Sehr gut«, antwortete Brunetti. »Hast du etwas über die Wohnungen herausbekommen?«
»Ja, aber sonderlich interessant ist das nicht. Alle drei sind seit Monaten auf dem Markt, aber die Sache wird dadurch kompliziert, daß der Eigentümer in Kenia lebt.«
»In Kenia? Ich dachte, in Turin. Jedenfalls steht diese Adresse im Testament.«
»Kann durchaus sein, aber er lebt seit sieben Jahren in Kenia und ist in Venedig nicht mehr gemeldet. Steuerlich ist das ein derartiger Alptraum, daß keiner sich mit diesen Wohnungen abgeben mag, schon gar nicht bei der herrschenden Marktlage. Du kannst dir dieses Chaos überhaupt nicht vorstellen.«
Nein, das konnte Brunetti wirklich nicht, ihm genügte die Information, daß der Erbe seit sieben Jahren in Kenia lebte.
Stefania fragte: »Genügt dir das, um...«, aber das Klingeln eines Telefons in ihrem Büro unterbrach sie. »Das ist der andere Apparat. Ich muß dich abhängen, Guido. Drück mir die Daumen, daß es ein Kunde ist.«
»Mach ich. Und danke, Steffi. Auf Wiedersehen.«
Sie lachte und legte auf.
Er rief die Polizeiwache am Lido an und erfuhr, daß man noch nichts über den Wagen oder den Fahrer wußte, der in den Unfall mit Fahrerflucht, als der die Sache noch immer behandelt wurde, verwickelt gewesen war. Darauf ging er nach unten zu Signorina Elettra. Sie blickte auf, als er hereinkam, und lächelte ihm kurz zu. Brunetti sah, daß sie heute einen hochgeschlossenen schwarzen Hosenanzug trug. Am Hals fiel ihm ein schmaler, blendendweißer
Weitere Kostenlose Bücher