Brunetti 07 - Nobiltà
aufzuessen?«
»Glaubst du denn, er liebt seine kleine Schwester nicht?« fragte sie mit jener gespielten Empörung, die er so gut kannte.
Brunetti antwortete nicht »Also gut«, gestand Paola, »ich habe ihm zehntausend Lire versprochen, wenn er aufisst.«
»Krieg ich die auch?« fragte Brunetti und verabschiedete sich. Auf dem Weg in Richtung Rialto merkte Brunetti, dass ihm schon wohler war als die ganze Zeit seit dem Essen mit seinem Schwiegervater. Er hatte noch immer keine Ahnung, was Paola Kummer bereiten mochte, aber die Unbefangenheit ihres letzten Gesprächs überzeugte ihn, dass ihre Ehe immerhin auf gesunden Füßen stand. Auf und ab ging er, auf. und ab über die Brücken, genau wie seine Stimmung den ganzen Tag auf und ab gegangen war, zuerst infolge der Aufregungen eines neuen Falles, dann durch die beunruhigende Einmischung seines Schwiegervaters und schließlich durch Paolas friedenstiftendes Geständnis, sie habe ihren Sohn bestochen. Ober das Gespräch mit den Lorenzonis konnte ihm nur die Aussicht auf das Abendessen hinweghelfen, aber wie gern hätte er sich einen ganzen Monat von Chiara bekochen lassen, wenn es ihm dafür erspart geblieben wäre, wieder einmal der Überbringer von Trauer und Elend zu sein.
Der Palazzo lag in der Nähe des Rathauses, aber er musste am Cinema Rossini vorbei und dann wie der zurück zum Canal Grande, um hinzukommen. Auf dem Ponte del Teatro blieb er kurz stehen und betrachtete die wiedererstandenen Fundamente der Gebäude zu bei den Seiten des Kanals. Als er ein Junge war, hatte man die Kanäle ständig gereinigt, und das Wasser war so sauber gewesen, dass man darin schwimmen konnte. Heute war die Reinigung eines Kanals ein großes Ereignis und kam so selten vor, dass sie mit Schlagzeilen bedacht und den Stadtoberen als besonderes Verdienst angerechnet wurde. Und den Kontakt mit dem Wässer würde manch einer viel leicht nicht überleben. Als er den Palazzo gefunden hatte, ein hohes viergeschossiges Gebäude, dessen vordere Fenster auf den Canal Grande gingen, klingelte er, wartete ein Weilchen und klingelte noch ein mal. Schließlich hörte er die Stimme eines Mannes über die Sprechanlage: »Commissario Brunetti?«
»Ja?«
»Kommen Sie bitte herein«, sagte die Stimme, und die Tür sprang auf. Brunetti ging hinein und fand sich in einem Garten wieder, der viel größer war, als er es in diesem Teil der Stadt erwartet hätte. Nur die Reichsten hatten es sich leisten können, ihre Palazzi um so viel freien Raum herum zu bauen, und nur ihre ebenso reichen Abkömmlinge konnten so etwas erhalten.
»Hier herauf«, hörte er jemanden vom Ende einer Treppe zu seiner Linken rufen. Er drehte sich um und ging hinauf. Oben wartete ein junger Mann im blauen Zweireiher. Er hatte dunkelbraunes Haar und eine ausgeprägt hohe Stirn, die er unter schräg nach vorn gebürsteten Haaren zu verstecken suchte.
Als Brunetti nahe genug war, streckte der junge Mann die Hand aus und sagte: »Guten Abend, Commissario. Ich bin Maurizio Lorenzoni. Mein Onkel und meine Tante erwarten Sie.«
Sein Händedruck war schlaff - nach so einer Berührung hätte Brunetti sich am liebsten immer die Hand an der Hose abgewischt, doch der Blick machte einiges wieder weit, denn er war direkt und offen. »Haben Sie mit Dottor Urbani gesprochen?« Eine taktvolle Art zu fragen, das musste Brunetti zugeben.
»Ja, und ich muß Ihnen leider sagen, dass die Identifizierung der Leiche dadurch bestätigt wurde. Es ist Ihr Vetter Roberto.«
»Und ein Irrtum ist ausgeschlossen?« fragte der andere in einem Ton, der die Antwort schon vorwegnahm.
»Ja, völlig ausgeschlossen.«
Der junge Mann stieß die Fäuste in die Taschen seines Jacketts, bis es sich straff Über die Schultern spannte. »Das bringt sie um. Ich weiß nicht, wie meine Tante das verkraften wird.«
»Es tut mir leid«, sagte Brunetti aufrichtig. »Wäre es vielleicht besser, wenn Sie es ihnen sagen?«
»Ich glaube, ich schaffe das nicht«i antwortete Maurizio, den Blick auf den Boden gerichtet.
In all den Jahren, in denen Brunetti den Familien Ermordeter eine solche Nachricht hatte überbringen müssen, hatte sich noch nie einer erboten, ihm das abzunehmen. »Ihr Onkel und Ihre Tante wissen, dass ich hier bin? Und wer ich bin?«
Der junge Mann nickte und sah auf. »Ich musste es ihnen sagen. Damit sie wissen, was sie erwartet. Aber es ist...«
Brunetti beendete den Satz für ihn: »Es ist zweierlei, ob man mit etwas rechnet öder ob man
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