Brunetti 07 - Nobiltà
es dann bestätigt bekommt. Vielleicht könnten Sie mich jetzt zu ihnen bringen.«
Der junge Mann drehte sich um und ging voraus, wobei er die Tür hinter ihnen offen ließ. Brunetti machte sie zu, ohne dass der andere davon Notiz nahm. Er führte Brunetti über einen mit Marmor gefliesten Korridor zu einer großen Flügeltür aus Nussbaum Ohne anzuklopfen, öffnete er sie und trat zur Seite, um Brunetti den Vortritt zu lassen.
Brunetti erkannte, den Conte von den Bildern her, die er gesehen hatte: silbergraues Haar, aufrechte Haltung und das eckige Kinn, das - er konnte es sicher schon nicht mehr hören - an Mussolini erinnerte. Brunetti wusste zwar, dass Conte Lorenzoni auf die Sechzig zuging, doch die Männlichkeit, die er ausstrahlte, ließ ihn zehn Jahre jünger wirken. Der Conte stand vor einem überdimensionalen Kamin und blickte starr auf das Bukett aus Trockenblumen, das darin stand, aber als Brunetti eintrat, drehte er sich um und sah ihn an.
Fast zwergenhaft in ihrem Armsessel, starrte eine spindeldürre Frau Brunetti an, als wäre er der Teufel, der ihre Seele holen wollte. Was ja auch stimmt, dachte Brunetti, den beim Anblick der mageren, nervös im Schoß gefalteten Hände plötzlich Mitleid überkam. Die Contessa war jünger als ihr Mann, aber das Leid der letzten beiden Jahre hätte sie aller Jugend und Hoffnung beraubt und eine alte Frau aus ihr gemacht, die eher die Mutter des Conte hätte sein können als seine Frau. Brunetti wusste, dass sie früher zu den Schönheiten der Stadt gehört hatte, und gewiss waren die Konturen ihres Gesichts noch immer perfekt. Aber viel mehr als die Konturen war von dem Gesicht nicht übrig.
Noch bevor ihr Mann etwas sagen konnte, fragte sie so leise, dass ihre Stimme sich im Raum verloren hätte, wäre sie nicht das einzige Geräusch gewesen: »Sind Sie der Polizist?«
»Ja, Contessa.«
Der Conte kam jetzt auf Brunetti zu und reichte ihm die Hand. Mit einem Händedruck, der so fest war wie der seines Neffen schlaff, presste er Brunettis Finger zusammen. »Guten Abend, Commissario. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen nichts zu trinken anbiete. Sie werden das sicher verstehen.«
Seine Stimme war tief, aber erstaunlich leise, fast so leise wie die seiner Frau.
»Ich Überbringe Ihnen die schlimmste Nachricht, die es gibt, Signor Conte«, sagte Brunetti.
»Roberto?«
»Ja. Er ist tot. Seine Leiche wurde in der Nähe von Belluno gefunden.«
Aus ihrem Sessel fragte die Mutter des Jungen: »Wissen Sie das genau?« Brunetti sah zu ihr hinüber und stellte erstaunt fest, dass sie in diesen wenigen Augenblicken noch kleiner geworden, noch tiefer zwischen die hohen Seitenlehnen gesunken war.
»Ja, Contessa. Wir haben seinem Zahnarzt die Röntgenaufnahmen vom Gebiss gezeigt, und er hat bestätigt, dass sie mit denen von Roberto übereinstimmen.«
»Röntgenaufnahmen?« fragte sie. »Und was ist mit seiner Leiche? Hat sie noch niemand identifiziert?«
»Cornelia«, sagte ihr Mann sanft, »lass ihn ausreden, dann können wir Fragen stellen.«
»Ich will wissen, was mit der Leiche ist, Ludovico. Ich will wissen, was aus meinem Kind geworden ist.«
Brunetti wandte sich wieder dem Conte zu und wartete auf ein Zeichen zum Weiterreden. Als der Conte nickte, fuhr Brunetti fort: »Er lag auf einem Acker begraben. Offenbar hat er dort einige Zeit gelegen, über ein Jahr.« Er hielt inne, hoffte, dass sie sich denken konnten, was aus einer Leiche wurde, die ein Jahr lang in der Erde lag, und es nicht noch von ihm erklärt haben wollten, »Aber wozu die Röntgenbilder?« fragte die Contessa. Wie so viele, denen Brunetti unter den gleichen Umständen begegnet war, wollte sie manches einfach nicht verstehen. Ehe Brunetti den Ring erwähnen konnte, schaltete der Conte sich ein. Erblickte zu seiner Frau hinüber und sagte: »Das heißt, dass die Leiche verwest ist, Cornelia, und darum auf diese Art identifiziert werden muss.«
Brunetti, der die Contessa beobachtet hatte, während ihr Mann sprach, sah genau den Augenblick, in dem diese Erklärung den letzten Schutzwall durchbrach, den sie noch gehabt hatte. Vielleicht war es das Wort ›verwest‹, aber was auch immer, sie ließ jedenfalls in diesem Augenblick des Verstehens den Kopf gegen die Sessellehne sinken und schloss die Augen. Ihre Lippen bewegten sich, entweder im Gebet oder im Protest. Die Polizei von Belluno würde ihnen den Ring geben, also konnte Brunetti es sich ersparen, sie auch davon noch zu unterrichten.
Der
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