Brunetti 07 - Nobiltà
den Umschlag, der aber unversehrt schien. »Haben Sie es sich zu Hause schon angesehen?« fragte er.
»Nein, ich habe keinen Videorecorder.«
»Sonst hätten Sie es getan?«
»Natürlich.«
»Wollen wir ins Labor gehen und es uns zusammen ansehen?« schlug er vor.
»Sehr gern, Commissario«, antwortete sie und legte auf.
Sie erwartete ihn vor der Tür zum Labor im Erdgeschoß, heute in einer fast totgebügelten Jeans. Die lässige Note wurde noch betont durch ein Paar gefährlich spitzer Cowboystiefel mit schrägen Absätzen. Eine Bluse aus Seidenkrepp stellte die Seriosität wieder her, ebenso wie der strenge Knoten, zu dem sie ihr Haar heute geschlungen hatte.
»Ist Bocchese nicht da?« fragte er.
»Nein, er muss vor Gericht aussagen.«
»In welchem Fall?« »In der Raubsache Brandolini.« Sie quittierten es beide nicht einmal mehr mit einem Kopfschütteln, dass dieser vier Jahre alte Raubüberfall, dem schon zwei Tage später die Festnahme gefolgt war, erst jetzt vor Gericht kam. »Aber ich habe ihn gestern gefragt, ob wir das Labor benutzen dürfen, um uns das Video anzusehen, und er hat ja gesagt«, erklärte sie. Brunetti öffnete die Tür und ließ ihr den Vortritt. Signorina Elettra ging zum Recorder und stellte ihn an, als wäre sie hier zu Hause. Er schob die Kassette ein.
Gleich darauf erschienen Logo und Testbild der RAI auf dem Bildschirm, rasch gefolgt vom Datum und ein paar Zeilen, die Brunetti für technische Angaben hielt.
»Müssen wir das zurückschicken?« fragte er, während er sich auf einen der hölzernen Klappstühle gegenüber dem Fernsehgerät setzte.
Sie nahm neben ihm Platz. »Nein. Cesare sagt, es ist nur eine Kopie. Aber es wäre ihm lieb, wenn niemand erführe, dass er sie uns gegeben hat.«
Die Stimme eines Sprechers schnitt Brunettis Antwort ab. En schilderte den damals frischen Entführungsfall Und kündigte den Zuschauern an, dass RAI jetzt exklusiv eine Botschaft von Conte Ludovico Lorenzoni, dem Vater des Opfers, an die Entführer übertragen werde. Während die üblichen Touristenattraktionen Venedigs über den Bildschirm flimmerten, erklärte der Sprecher, man habe den Aufruf des Conte am Nachmittag aufgezeichnet und RAI werde ihn nun exklusiv und in der Hoffnung ausstrahlen, dass die Kidnapper den Ritten des verzweifelten Vaters Gehör schenken würden. Und während auf dem Bildschirm ein langer Schwenk über die Fassade von San Marco aus der Froschperspektive erschien, übergab er an das RAI-Team in Venedig.
Ein Mann im dunklen Anzug Stand mit ernster Miene in einem großen Raum, den Brunetti als die Diele im Palazzo der Lorenzonis erkannte. Im Hintergrund waren die Flügeltüren zu dem Wohnzimmer zu erkennen, wo er mit der Familie gesprochen hatte. Der Mann fasste noch einmal zusammen, was der Sprecher gesagt hatte, dann drehte er sich um und öffnete einen der Türflügel. Die Kamera erfasste, zuerst in der Totale, dann in Nahaufnahme, Conte Ludovico hinter einem Schreibtisch, an den Brunetti sich nicht erinnerte. Anfangs blickte der Conte auf seine Hände, aber als die Kamera näherkam, hob, er den Kopf und schaute direkt hinein. Einige Sekunden vergingen, bis die Kamera den richtigen Abstand fand und stillhielt; dann begann der Conte zu sprechen. »Ich wende mich mit diesen Worten an diejenigen, die für das Verschwinden meines Sohnes Roberto verantwortlich sind, und bitte sie, mir aufmerksam und verständnisvoll zuzuhören. Ich bin bereit, für das Leben meines Sohnes jede Summe zu bezahlen, aber die staatlichen Behörden verhindern das. Ich kann nicht mehr über mein, Vermögen verfügen, und ich habe keine Möglichkeit, an die geforderte Summe heranzukommen, weder hier in Italien noch im Ausland. Ich schwöre das bei meiner Ehre, und ich schwöre weiter, dass ich andernfalls mit Freuden diese Summe, jede Summe geben würde, um meinen Sohn wohlbehalten wiederzubekommen.«
An dieser Steile hielt der Conte inne und sah auf seine Hände. Kurz darauf blickte er wieder in die Kamera. »Ich bitte diese Leute um Mitgefühl für mich und meine Frau, die sich meiner Bitte anschließt. Ich appelliere an die Menschlichkeit der Entführer und bitte um die Freilassung meines Sohnes. Auf Wunsch werde ich auch gern Platz mit ihm tauschen. Wenn man mir sagt, was ich tun soll, werde ich es tun. Man hat angekündigt, über einen nicht namentlich genannten Freund mit mir Kontakt aufzunehmen. Ich bitte darum, dies zu tun und entsprechende Anweisungen zu hinterlassen. Was
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