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Brunetti 07 - Nobiltà

Brunetti 07 - Nobiltà

Titel: Brunetti 07 - Nobiltà Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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sie ein so überzeugendes Beispiel auf, dass man unmöglich etwas dagegenhalten kann. Aber so zwingend ein Einzelfall auch sei, das Recht habe sich an Grundsätzen und Allgemeingültigkeit zu orientieren. Einzelfälle könnten als Beweis nur für sich selbst und für nichts anderes dienen. Nun hatte Brunetti schon soviel Schreckliches im Gefolge von Verbrechen gesehen, dass er den Ruf nach neuen, schärferen Strafgesetzen sehr gut verstand. Als Polizist wusste er, dass die volle Härte des Gesetzes meist gegenüber den Schwachen und Armen angewendet wurde, und er wusste auch, dass alle Gesetzesstrenge keine Verbrechen verhinderte.
    Das alles wusste er als Polizist, aber als Mann und Vater wünschte er sich doch, dass die Leute, die das Leben dieses jungen Mannes ausgelöscht hatten, vor Gericht gestellt wurden und dafür büßen mussten. Er ging zur Tür, und sie verließen das Labor, kehrten zurück zu ihrer Arbeit, in die Welt, in der Verbrechen etwas waren, dem man Einhalt gebieten musste, nicht Gegenstand philosophischer Überlegungen.

16
    Der gesunde Menschenverstand sagte Brunetti zwar, es wäre töricht, von den Lorenzonis zu erwarten, dass sie ihn noch vor der Beerdigung des Jungen zu einem Gespräch empfingen; was ihn jedoch letztlich an einem Vorstoß hinderte, War sein Mitgefühl. Die Zeitungen nannten den kommenden Montag als Beerdigungstermin, die Aussegnung sollte in der Kirche San Salvatore stattfinden. Bis dahin wollte Brunetti noch einiges über Roberto in Erfahrung bringen.
    Von seinem Zimmer aus rief er in der Praxis von Doktor Urbani an und fragte die Sprechstundenhilfe des Zahnarztes, ob sie den Namen von Robertos Hausarzt wisse. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie in ihren Unterlagen nachgesehen hatte, aber dort fand er sich tatsächlich auf der ersten Patientenkarte, die für Roberto vor zehn Jahren angelegt worden war.
    Der Name, Luciano De Cal, war Brunetti vertraut; er war mit einem De Cal zur Schule gegangen, der hieß allerdings Franco und war jetzt Juwelier. Ja, Roberto sei die meiste Zeit seines Lebens bei ihm Patient gewesen, sagte der Arzt, als Brunetti ihn in seiner Praxis erreichte und den Grund seines Anrufs erklärte. Er habe ihn betreut, seit der ursprüngliche Arzt der Familie Lorenzoni in den Ruhestand gegangen sei. Als Brunetti nach Robertos Gesundheitszustand in den Monaten vor der Entführung fragte, entschuldigte Doktor De Cal sich kurz, um die Karteikarte des Jungen zu holen. Er sei zwei Wochen vor der Entführung in die Sprechstunde gekommen, sagte Dr. De Cal, und habe über Mattigkeit und anhaltende Magenschmerzen geklagt. Der Arzt hatte zuerst an eine Kolik gedacht, für die Roberto besonders in den ersten Wochen der kühleren Jahreszeit anfällig gewesen sei. Aber als die Behandlung nicht anschlug, hatte De Cal ihm empfohlen, einen Internisten aufzusuchen.
    »Ist er hingegangen?« fragte Brunetti.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Kurz nachdem ich ihn an Dottor Montini überwiesen hatte, bin ich nach Thailand in Urlaub gefahren, und als ich zurückkam, war er entführt worden.«
    »Hatten Sie je Anlass, mit diesem Doktor Montini zu sprechen?«
    »Über Roberto?«
    »Ja.«
    »Nein, nie. Wir verkehren privat nicht miteinander; er ist ein Berufskollege, mehr nicht.«
    »Verstehe«, sagte Brunetti. »Könnten Sie mir seine Telefonnummer geben?«
    De Cal legte den Hörer hin und war kürz danach wieder am Apparat. »Er wohnt in Padua«, erklärte er und nannte Brunetti die Nummer.
    Brunetti bedankte sich und fragte: »Sie haben also an eine Kolik gedacht, Dottore?«
    Am anderen Ende der Leitung war das Rascheln von Papier zu hören. »Nun ja, es hätte eine sein können.« Neuerliches Papiergeraschel. »Ich habe hier notiert, dass er innerhalb von zwei Wochen dreimal bei mir war. Das war im September,, am zehnten, neunzehnten und dreiundzwanzigsten.«
    Das hieß, der letzte Besuch hatte fünf Tage vor der Entführung stattgefunden.
    »Was für einen Eindruck hat er auf Sie gemacht?« wollte Brunetti wissen.
    »Ich habe mir hier notiert, dass er nervös und gereizt wirkte, aber genau erinnern kann ich mich nicht«
    »Was war er Ihrer Einschätzung nach für ein Junge, Dottore?« fragte Brunetti unvermittelt.
    De Cal antwortete nach einer kurzen Pause. »Ich fand ihn ziemlich typisch.« »Typisch wofür?«
    »Für eine solche Familie, für diese Kreise.«
    Brunetti fiel jetzt wieder ein, dass sein Klassenkamerad Franco überzeugter Kommunist gewesen war. So etwas

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