Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
kurz nach dem Frühstück. Nach einigen Minuten kam Paola ins Wohnzimmer und sagte, es sei für ihn.
Er beugte sich auf dem Sofa vor, ohne die Beine herunterzunehmen, und angelte sich den Hörer. »Si?«
»Vianello hier, Commissario. Hat man Sie schon angerufen?«
»Wer?«
»Die Kollegen, die letzte Nacht Dienst hatten.«
»Nein. Warum?«
Was Vianello sagen wollte, wurde von lauten Stimmen im Hintergrund übertönt.
»Wo sind Sie, Vianello?«
»Unten in der Bar, bei der Brücke.«
»Was ist denn los?«
»Mitri wurde gestern abend umgebracht.«
Jetzt setzte Brunetti sich doch auf und stellte die Füße auf den Boden. »Wie? Wo?«
»Bei sich zu Hause. Garottiert - so sieht es jedenfalls aus. Jemand muß sich von hinten angeschlichen und ihn erdrosselt haben. Womit, weiß man nicht, denn sie haben es mitgenommen. Aber«, sagte er, und wieder wurde seine Stimme von Geräuschen übertönt, die offenbar aus einem Radio kamen.
»Was war?« fragte Brunetti, als der Lärm wieder verstummt war.
»Sie haben einen Zettel neben der Leiche gefunden. Ich habe ihn nicht gesehen, aber wie Pucetti sagt, stand da etwas von Pädophilen und den Leuten drauf, die ihnen helfen. Etwas von Gerechtigkeit.«
»Gesù bambino«, flüsterte Brunetti. »Wer hat ihn gefunden?«
»Corvi und Alvise.«
»Wer hatte sie gerufen?«
»Seine Frau. Sie war von einem Essen mit Freunden zurückgekommen und fand ihn in der Küche auf dem Fußboden.«
»Mit wem war sie zum Essen?«
»Das weiß ich nicht, Commissario. Ich weiß nur das wenige, was Pucetti mir sagen konnte, und der wußte auch nur, was Corvi ihm erzählt hat, bevor er heute morgen seinen Dienst beendete.«
»Wem ist der Fall übertragen worden?«
»Ich glaube, Scarpa ist hingefahren und hat sich die Leiche angesehen, nachdem Corvi die Questura angerufen hatte.«
Brunetti sagte nichts dazu, obwohl es ihn wunderte, daß Pattas persönlicher Assistent damit beauftragt wurde. »Ist der Vice-Questore schon da?«
»Als ich vor ein paar Minuten wegging, war er noch nicht da, aber Scarpa hat ihn zu Hause angerufen und ihm von der Sache berichtet.« »Ich komme«, sagte Brunetti, wobei er schon mit den Füßen nach seinen Schuhen angelte.
Vianello schwieg lange, doch dann sagte er: »Ja, ich glaube, das ist besser.«
»Zwanzig Minuten.« Brunetti legte auf.
Er band seine Schuhe und ging in den hinteren Teil der Wohnung. Die Tür zu Paolas Arbeitszimmer stand offen, eine unausgesprochene Einladung an ihn, hereinzukommen und ihr von dem Anruf zu berichten. »Das war Vianello«, sagte er, als er eintrat.
Sie blickte auf, sah sein Gesicht, legte das Blatt beiseite, das sie gerade las, schraubte ihren Füllfederhalter zu und legte ihn auf den Schreibtisch. »Was hat er gesagt?«
»Mitri ist gestern abend ermordet worden.«
Sie warf sich auf ihrem Stuhl nach hinten, als hätte jemand eine drohende Hand nach ihr gestoßen. »Nein!«
»Pucetti hat etwas von einem Zettel erzählt, auf dem von Pädophilen und Gerechtigkeit die Rede war.«
Ihr Gesicht wurde starr, dann hielt sie sich den Handrücken vor den Mund. »O Madonna Santa.« Dann flüsterte sie hinter der vorgehaltenen Hand hervor: »Wie?«
»Erdrosselt.«
Sie schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. »O mein Gott, nein!«
Brunetti wußte, daß jetzt der richtige Augenblick war. »Paola«, sagte er, »bevor du das gemacht hast, hast du da mit irgend jemandem darüber gesprochen? Oder gibt es jemanden, der dir zugeredet hat?«
»Wie meinst du das?«
»Hast du ganz allein auf eigene Faust gehandelt?«
Er sah, wie ihr Blick sich veränderte, ihre Pupillen sich vor Schreck weiteten. »Du willst wissen, ob irgend jemand, den ich kenne, ein Fanatiker, davon wußte, daß ich die Schaufensterscheibe einschlagen wollte? Und dann hingegangen ist und ihn umgebracht hat?«
»Paola«, sagte er, sehr um einen sachlichen Ton bemüht, »ich frage dich das, um schon einmal eine Möglichkeit auszuschließen, bevor jemand anders zwei und zwei zusammenzählt und dich dasselbe fragt.«
»Da gibt es nichts zusammenzuzählen«, antwortete sie ohne Zaudern, aber mit ironischer Betonung auf dem letzten Wort.
»Also niemand?«
»Nein. Ich habe darüber mit niemandem gesprochen. Es war einzig und allein meine Entscheidung. Und keine leichte.«
Er nickte. Wenn sie es allein getan hatte, dann mußte jemand durch die Art, wie die Presse damit umging, sich angeregt oder aufgestachelt gefühlt haben. Himmel, dachte er, wir gehen schon
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