Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
Vice-Questore, aber ich dachte, der Commissario sei vorläufig suspendiert.« Als Patta nichts sagte, fuhr er fort: »Ich wußte nichts davon, daß er in diese Ermittlung wieder eingeschaltet werden sollte. Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Die Presse könnte es eigenartig finden, daß er den Fall übertragen bekommt.«
Brunetti fand es interessant, daß die ganze Geschichte, zumindest in Scarpas Vorstellung, als ein einziger Fall angesehen wurde. Ob damit wohl die Ansicht des Tenente zum Ausdruck kam, daß Paola irgendwie in den Mord verstrickt sein müsse?
»Ich entscheide, wer welchen Fall bearbeitet, Tenente«, sagte Patta gelassen. »Berichten Sie dem Commissario, was passiert ist.«
»Ja, Vice-Questore«, antwortete Scarpa unbewegt. Er richtete sich noch etwas gerader auf und begann zu erklären: »Corvi rief mich kurz nach dreiundzwanzig Uhr an, und ich begab mich sofort zu Mitris Haus. Dort angekommen, fand ich seine Leiche in der Küche auf dem Fußboden. Soweit ich feststellen konnte, schien er erdrosselt worden zu sein, obwohl von einer Mordwaffe nirgendwo etwas zu sehen war.« Scarpa hielt inne und sah Brunetti an, doch als der Commissario schwieg, fuhr er fort: »Ich habe mir die Leiche angesehen und dann sofort Dottor Rizzardi rufen lassen, der nach ungefähr einer halben Stunde kam. Er bestätigte meine Ansicht über die Todesursache.«
»Konnte er irgendeine Meinung dazu äußern, womit Mitri erdrosselt worden war?« unterbrach Brunetti.
»Nein.«
Brunetti fiel auf, daß Scarpa ihn nicht mit seinem Titel ansprach, aber er ließ es durchgehen. Er brauchte sich nicht erst zu fragen, wie der Tenente wohl mit Dottor Rizzardi umgesprungen war, von dem man allgemein wußte, daß er ein freundschaftliches Verhältnis zu Brunetti hatte, und so wunderte es ihn nicht, zu hören, daß Rizzardi nicht willens gewesen war, eine vorschnelle Vermutung zur Frage der Tatwaffe zu äußern.
»Und die Autopsie?« fragte Brunetti.
»Heute, wenn möglich.«
Brunetti nahm sich vor, Rizzardi gleich nach diesem Gespräch anzurufen. Es würde sicher möglich sein.
»Darf ich fortfahren, Vice-Questore?« fragte Scarpa, an Patta gewandt.
Patta sah Brunetti lange an, wie um sich zu erkundigen, ob der Commissario noch weitere störende Fragen habe, doch als Brunetti diesen Blick ignorierte, wandte er sich zu Scarpa um und sagte: »Natürlich.«
»Mitri war an dem Abend allein zu Hause. Seine Frau war mit Freunden essen gegangen.«
»Warum war Mitri nicht mit dabei?« fragte Brunetti.
Scarpa sah Patta an, als wollte er wissen, ob er Brunettis Fragen beantworten solle. Als Patta nickte, erklärte Scarpa: »Seine Frau hat gesagt, es seien alte Freunde von ihr gewesen, noch aus der Zeit vor ihrer Ehe, und Mitri habe sie selten begleitet, wenn sie zusammen essen gingen.«
»Kinder?« fragte Brunetti.
»Eine Tochter, aber die lebt in Rom.«
»Dienstboten?«
»Das steht doch alles im Bericht«, sagte Scarpa patzig, aber mit Blick zu Patta, nicht zu Brunetti.
»Dienstboten?« wiederholte Brunetti.
Scarpa schwieg kurz, aber dann antwortete er: »Nein.
Jedenfalls keine, die mit im Haushalt leben. Zweimal die Woche kommt eine Frau zum Saubermachen.«
Brunetti stand auf. »Wo ist die Ehefrau?« fragte er Scarpa.
»Als ich ging, war sie noch im Haus.«
»Danke, Tenente«, sagte Brunetti. »Ich hätte gern eine Kopie von Ihrem Bericht.«
Scarpa nickte, sagte aber nichts.
»Ich muß mit der Frau sprechen«, sagte Brunetti zu Patta, und bevor der Vice-Questore es aussprechen konnte, fügte er hinzu: »Ich werde behutsam mit ihr umgehen.«
»Und Ihre Frau?« fragte Patta.
Diese Frage konnte vielerlei Bedeutungen haben, aber Brunetti entschied sich, auf die naheliegendste zu antworten. »Sie war den ganzen gestrigen Abend zu Hause, mit mir und den Kindern. Keiner von uns hat nach halb acht, als unser Sohn vom Lernen mit einem Freund zurückkam, die Wohnung verlassen.« Hier legte Brunetti eine Pause ein, um abzuwarten, ob Patta sonst noch eine Frage hatte, und als das nicht der Fall zu sein schien, ging er ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer.
Signorina Elettra sah von einem Stapel Papiere auf ihrem Schreibtisch hoch und fragte, ohne ihre Neugier verhehlen zu wollen: »Nun?«
»Ich habe den Fall«, sagte Brunetti.
»Aber das ist doch verrückt«, entfuhr es Signorina Elettra, ehe sie sich bremsen konnte. Dann fügte sie hastig hinzu: »Ich meine, die Presse wird sich überschlagen, wenn sie das
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