Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
sein.«
Sie zuckte die Achseln. »Ich bin immer skeptisch bei noblen Sprüchen.«
»Besonders, wenn sie von Männern kommen?«
Sie beugte sich zu ihm hinüber und nahm seine Hand. »Das hast du gesagt, nicht ich.«
»Darum ist es nicht weniger wahr.«
Sie zuckte erneut die Achseln. »Willst du wirklich Gibbon lesen?«
»Das wollte ich schon immer mal. Aber ich denke, ich lese lieber die Übersetzung. Sein Stil ist mir ein bißchen zu onduliert.«
»Das ist doch das Schöne daran.«
»Hochtrabendes Geschwätz kann ich genug in den Zeitungen lesen; das brauche ich nicht auch noch in einem Geschichtsbuch.«
»Die Zeitungen werden das genüßlich auswalzen, wie?« meinte sie.
»Es hat schon so lange keiner mehr versucht, Andreotti zu verhaften, und über irgend etwas müssen die ja schreiben, oder?«
»Anzunehmen.« Sie stand auf. »Kann ich dir etwas bringen?«
Brunetti, der wenig und ohne Genuß zu Mittag gegessen hatte, sagte: »Ein Sandwich und ein Glas Dolcetto.« Er bückte sich und schnürte seine Schuhe auf. Als Paola zur Tür ging, rief er ihr nach: »Und den ersten Band Gibbon.«
Zehn Minuten später war sie mit allen drei Dingen zurück, und er genoß es ungeniert, legte sich lang aufs Sofa, das Glas auf dem Tischchen daneben, den Teller auf der Brust, während er das Buch aufschlug und zu lesen anfing. Sein panino war mit Speck und Tomate belegt, dazwischen dünne Scheiben von einem mittelalten Pecorino. Nach ein paar Minuten kam Paola herein und schob ihm eine Stoffserviette unters Kinn, gerade rechtzeitig, um ein Stück Tomate aufzufangen, das ihm vom Brot fiel. Er legte das Sandwich auf den Teller, griff nach dem Glas und trank einen großen Schluck. Dann wandte er sich seiner Lektüre zu und las das hochtrabende Anfangskapitel mit seiner politisch inkorrekten Lobeshymne auf die Glorie des Römischen Reiches.
Nach einer Weile, als Gibbon gerade erklärte, mit welcher Toleranz der Polytheist alle Religionen gelten läßt, kam Paola und füllte sein Glas nach. Sie nahm ihm den leeren Teller und die Serviette von der Brust und ging wieder in die Küche. Gibbon hatte zweifellos noch etwas über die Ergebenheit der braven römischen Hausfrau zu sagen. Brunetti freute sich schon darauf, es zu lesen.
Am nächsten Tag las er abwechselnd Gibbon und die überregionalen und lokalen Zeitungen, die ihm die Kinder von draußen mitbrachten. Il Gazzettino, dessen Reporter seinen Arm von der Tür hatte wegziehen wollen, geiferte über den Machtmißbrauch städtischer Behörden, Brunettis Mißachtung des Rechts der Presse auf freie Information, seine Arroganz, seinen Hang zur Gewalttätigkeit. Paolas Motiv, das zu kennen sie vorgaben, wurde verächtlich gemacht, und hart ging die Zeitung mit diesem Geist der Selbstjustiz ins Gericht und stellte sie als eine Frau dar, der es nur um das Aufsehen ging, wodurch sie völlig ungeeignet für ihre Stellung als Universitätsprofessorin sei. Daß Paola selbst nie dazu gehört worden war, wurde in dem Artikel nicht erwähnt. Die größeren Zeitungen ereiferten sich nicht so sehr, aber überall wurde die Geschichte als Beispiel für die gefährliche Tendenz von Privatpersonen dargestellt, im irregeleiteten Streben nach einem falschen Begriff von »Gerechtigkeit« die legitime Macht des Staates in Frage zu stellen, wobei das Wort »Gerechtigkeit« unfehlbar zwischen den Anführungszeichen ihrer Verachtung stand.
Nachdem Brunetti die Zeitungen gelesen hatte, wandte er sich wieder seinem Buch zu, und aus dem Haus ging er nicht ein einziges Mal. Auch Paola nicht, die meist in ihrem Arbeitszimmer saß und die Dissertation eines Studenten durchging, der sich unter ihrer Anleitung auf sein Examen vorbereitete. Die Kinder, wiewohl von ihren Eltern über die Vorgänge aufgeklärt, kamen und gingen ungestört, erledigten die Einkäufe, holten die Zeitungen und benahmen sich angesichts dieser Störung des Familienlebens überhaupt ganz tadellos.
Am zweiten Tag gestattete Brunetti sich nach dem Mittagessen ein langes Schläfchen und legte sich dazu sogar richtig ins Bett, statt sich einfach auf dem Sofa auszustrecken und abzuwarten, ob ihn der Schlaf mehr oder weniger zufällig überkam. Am Nachmittag klingelte ein paarmal das Telefon, aber er überließ es Paola, die Gespräche anzunehmen. Wenn Mitri oder sein Anwalt anrief, würde sie es ihm schon erzählen, vielleicht aber auch nicht.
Am dritten Tag dieser Einsiedelei, wie Brunetti es im stillen nannte, klingelte das Telefon
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