Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
seinem Zimmer hinauf. Er hörte Schritte hinter sich und sah, daß Vianello, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, ihm nachgerannt kam. »Er will Sie sprechen.«
Noch im Mantel ging Brunetti zu Pattas Vorzimmer, wo Signorina Elettra, die heutige Ausgabe des Gazzettino vor sich ausgebreitet, an ihrem Schreibtisch saß. Er warf einen Blick darauf und sah auf der ersten Seite des Innenteils sein Foto, schon vor Jahren aufgenommen, neben dem von Paola, demselben, das sie in ihrem Personalausweis hatte. Signorina Elettra sagte: »Wenn Sie noch berühmter werden, muß ich Sie demnächst um ein Autogramm bitten.«
»Will der Vice-Questore das etwa auch?« fragte er lächelnd.
»Nein, ich glaube, er will Ihren Kopf.«
»Dachte ich mir doch fast«, sagte er und klopfte an Pattas Tür.
Pattas Stimme scholl heraus, unheildräuend. Wieviel einfacher wäre es doch, wenn sie mit der ganzen Operette Schluß machen könnten und fertig, dachte Brunetti. Als er eintrat, schoß ihm ein Satz aus Donizettis Anna Bolena durch den Kopf - »Ah! Segnata è la mia sorte, se mi accusa chi condanna. Wenn sie, die über mich urteilen, jene sind, die mich schon verurteilt haben, so bin ich verloren.« Großer Gott, wenn das keine Operette war!
»Sie wollten mich sprechen, Vice-Questore?« fragte er.
Patta saß hinter seinem Schreibtisch, sein Gesicht war ungerührt. Fehlte nur noch die schwarze Kopfbedeckung, die englische Richter auf ihre Perücken setzten, wenn sie einen Delinquenten zum Tode verurteilten. »Ja, Brunetti. Sie brauchen sich gar nicht erst hinzusetzen. Was ich Ihnen zu sagen habe, ist ganz kurz. Ich habe mit dem Questore gesprochen, und wir haben entschieden, Sie bis zur Beilegung dieser Sache vorläufig zu suspendieren.«
»Und was heißt das?«
»Es heißt, daß Sie nicht mehr in die Questura zu kommen brauchen, bis die Sache geregelt ist.«
»Geregelt?«
»Bis ein Urteil ergangen ist und Ihre Frau eine Geldstrafe bezahlt oder Dottor Mitri den Schaden ersetzt hat, den sie ihm finanziell und geschäftlich zugefügt hat.«
»Das setzt voraus, daß sie angeklagt und verurteilt wird«, sagte Brunetti, der wußte, wie wahrscheinlich beides war. Patta geruhte darauf nicht zu antworten. »Und das kann Jahre dauern«, ergänzte Brunetti, dem das Gerichtswesen nicht fremd war.
»Das bezweifle ich«, entgegnete Patta.
»Vice-Questore, in meinen Akten liegen Fälle, die schon seit über fünf Jahren anhängig sind und bis heute auf einen Verhandlungstermin warten. Ich wiederhole: Es kann Jahre dauern.«
»Das hängt ganz allein von Ihrer Frau ab, Commissario. Dottor Mitri war so entgegenkommend, ich würde sogar sagen, so freundlich, eine angemessene Lösung des Problems vorzuschlagen. Aber Ihre Frau hat sich offenbar entschieden, den Vorschlag nicht anzunehmen. Die Konsequenzen hat sie sich also selbst zuzuschreiben.«
»Mit Verlaub, Vice-Questore«, sagte Brunetti, »das stimmt nicht ganz.« Und bevor Patta etwas einwenden konnte, fuhr er fort: »Dottor Mitri hat mir eine Lösung angeboten, nicht meiner Frau. Wie ich schon sagte, ist das eine Entscheidung, die ich nicht für meine Frau treffen kann. Wenn er sich direkt an sie gewandt und sie es abgelehnt hätte, dann wäre das, was Sie sagen, richtig.«
»Haben Sie es ihr denn nicht gesagt?« fragte Patta, ohne seine Verblüffung zu verbergen.
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich meine, es wäre Dottor Mitris Sache, das zu tun.«
Wieder war Pattas Überraschung nicht zu übersehen. Er überlegte eine Weile und meinte dann: »Ich werde es ihn wissen lassen.«
Brunetti nickte, ob dankbar oder nur zur Bestätigung, wußte keiner von beiden. »Ist das dann alles, Vice-Questore?« fragte er.
»Ja. Aber betrachten Sie sich dennoch als vorläufig suspendiert. Ist das klar?«
»Ja, Vice-Questore«, sagte Brunetti, obwohl er keine Ahnung hatte, was es bedeutete, außer daß er nicht mehr als Polizist arbeiten durfte, genaugenommen also arbeitslos war. Er sagte erst gar nicht noch etwas zu Patta, sondern drehte sich um und ging.
Draußen saß Signorina Elettra noch immer an ihrem Schreibtisch, aber inzwischen las sie in einer Zeitschrift, da sie mit dem Gazzettino fertig war. Sie sah zu ihm auf, als er herauskam.
»Wer hat die Presse informiert?«
Sie schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich der Tenente.« Sie warf einen kurzen Blick zu Pattas Tür.
»Vorläufig suspendiert.«
»So was habe ich ja noch nie gehört«, sagte sie. »Das hat man wohl eigens zu
Weitere Kostenlose Bücher