Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
und wie sie beschlossen hatte, seine Abneigung gegen die von der Agentur angebotenen Reisen mit den Mitteln der Gewalt zum Ausdruck zu bringen. Brunetti kannte aus der Geschichte viele Beispiele, bei denen die falschen gestorben waren. Kaiser Wilhelms guter Sohn Friedrich hatte seinen Vater nur um wenige Monate überlebt und so den Weg für seinen eigenen Sohn, Wilhelm II., und damit für den ersten wirklich weltweiten Krieg frei gemacht. Und der Tod des Germanicus hatte die Erbfolge in Frage gestellt und letztlich zu Nero geführt. Aber das waren alles Fälle, in denen das Schicksal - oder die Historie - eingegriffen hatte; da war niemand mit einem Stück Draht gekommen und hatte das Opfer zu Tode gebracht; es hatte sich nicht um eine vorsätzliche Tat gehandelt.
Brunetti rief Vianello an, und der Sergente meldete sich beim zweiten Klingeln. »Sind die im Labor schon mit dem Zettel fertig?« fragte er ohne Einleitung.
»Wahrscheinlich ja. Soll ich mal runtergehen und fragen?«
»Ja. Und bringen Sie ihn mit, wenn es geht.«
Während er auf Vianello wartete, las Brunetti noch einmal die kurze Liste von Zambinos strafrechtlichen Mandanten durch und versuchte sich bei den Namen, die er kannte, daran zu erinnern, worum es da gegangen war. Einmal war es ein Totschlag gewesen, und der Mann war zwar verurteilt, die Strafe aber auf nur sieben Jahre herabgesetzt worden, nachdem Zambino ein paar Frauen aus demselben Haus aufgeboten hatte, die bezeugten, daß der Getötete sie jahrelang im Fahrstuhl und auf den Gängen belästigt habe. Zambino hatte dann die Richter überzeugen können, daß sein Mandant die Ehre seiner Frau verteidigt habe, als in einer Bar ein Streit zwischen ihnen ausbrach. Zwei des Raubüberfalls Verdächtige waren aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden; da hatte Zambino argumentiert, sie seien nur festgenommen worden, weil sie Albaner waren.
Brunetti wurde aus diesen Gedanken gerissen, als es klopfte und Vianello eintrat. Er brachte eine große Klarsichthülle mit, die er beim Eintreten in die Höhe hielt. »Sie waren gerade damit fertig. Nichts. Lavata con Perlana«, schloß Vianello mit dem beliebtesten Fernsehwerbespruch des Jahrzehnts. Nichts konnte so sauber sein wie ein mit Perlana gewaschenes Hemd. Höchstens ein am Tatort eines Mordes liegengelassener Zettel, den die Polizei auf jeden Fall finden und untersuchen würde, dachte Brunetti.
Vianello kam an den Schreibtisch und legte die Hülle darauf. Dann stützte er sich mit beiden Händen auf die Tischplatte und beugte sich darüber, um sich den Zettel noch einmal zusammen mit Brunetti anzusehen.
Für Brunetti sah es aus, als ob die Buchstaben aus La Nuova ausgeschnitten worden wären, der sensationslüsternsten und oft vulgärsten Zeitung der Stadt. Ganz sicher war er sich nicht, aber die Techniker wußten es bestimmt. Die Wörter waren auf einen halben Bogen liniertes Schreibpapier geklebt. »Dreckige Päderasten und Kinderschänder. Ihr werdet alle so sterben.«
Brunetti faßte die Hülle an einer Ecke und drehte sie um. Aber er sah auf der Rückseite nur dieselben Linien und ein paar kleine graue Flecken, wo der Klebstoff durchs Papier gedrungen war. Er drehte das Blatt wieder um und las noch einmal. »Da scheint es ein paar vorschnelle Verbindungen gegeben zu haben, wie?« meinte er.
»Um es gelinde auszudrücken«, bestätigte Vianello.
Paola hatte zwar den Polizisten, die sie festgenommen hatten, gesagt, warum sie die Fensterscheibe eingeworfen hatte, aber sie hatte nie mit einem der Reporter gesprochen, war höchstens zu ein paar Worten genötigt worden, weshalb alles, was in den Zeitungen über ihre Motive berichtet wurde, aus anderer Quelle stammen mußte; Tenente Scarpa kam dafür sehr wohl in Frage. In allen Artikeln, die Brunetti gelesen hatte, war höchstens angedeutet worden, daß ihre Triebfeder »Feminismus« gewesen sei, ohne daß dieser Begriff näher erläutert worden wäre. Es war von den Reisen die Rede gewesen, die von der Agentur angeboten wurden, aber dem Vorwurf, es handle sich um Sextourismus, hatte der Geschäftsführer des Reisebüros heftig widersprochen, wobei er behauptet hatte, die meisten Männer, die bei ihm eine Reise nach Bangkok buchten, nähmen ihre Frauen mit. Der Gazzettino hatte, wie Brunetti sich erinnerte, ein langes Interview mit ihm gebracht, in dem er seinem Entsetzen und Ekel gegenüber dem Sextourismus Ausdruck gegeben und mehrmals betont darauf hingewiesen hatte, daß so etwas in
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