Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
bildete, der zu beiden Seiten in seinen Vollbart überging. Das Ganze war sehr sorgfältig gestutzt, eindeutig nicht einer ungeschickten Hand zu verdanken, aber die Proportionen waren zerstört, so daß man eher den Eindruck eines angeklebten als eines natürlich gewachsenen Bärtchens hatte.
»Was kann ich für Sie tun, meine Herren?« fragte Dorandi lächelnd, während er die Hände zusammengefaltet vor sich auf den Schreibtisch legte.
»Ich möchte gern von Ihnen etwas über Dottor Mitri und dieses Reisebüro hören«, sagte Brunetti.
»Aber gern.« Dorandi überlegte, wo er anfangen sollte. »Ich kenne ihn seit Jahren, seit ich hier zu arbeiten anfing.«
»Wann war das genau?« erkundigte sich Brunetti.
Vianello zog ein Notizbuch aus der Tasche, legte es aufgeklappt auf seinen Schoß und begann zu schreiben.
Dorandi drehte das Kinn zur Seite und sah zu einem Poster an der gegenüberliegenden Wand, als suchte er die Antwort in Rio. Dann sah er wieder Brunetti an und sagte: »Im Januar werden es genau sechs Jahre.«
»Und in welcher Stellung haben Sie hier angefangen?« fragte Brunetti.
»In derselben wie jetzt: als Geschäftsführer.«
»Aber sind Sie nicht auch der Besitzer?«
Dorandi lächelte, als er antwortete: »Bis auf den Namen gehört es mir. Ich bin der Besitzer, aber Dottor Mitri hat immer noch die Lizenz.«
»Was heißt das genau?«
Erneut konsultierte Dorandi die hilfreiche Stadt an der Wand gegenüber. Als er die Antwort fand, wandte er sich wieder Brunetti zu. »Es bedeutet, daß ich bestimme, wer hier eingestellt oder entlassen wird, welche Art von Werbung und was für Sonderangebote wir machen. Und ich behalte auch den größten Teil der Einnahmen.«
»Einen wie großen Teil?«
»Fünfundsiebzig Prozent.«
»Und der Rest ging an Dottor Mitri?«
»Ja, ebenso wie die Pacht.«
»Wie hoch?«
»Die Pacht?« fragte Dorandi.
»Ja.«
»Drei Millionen Lire im Monat.«
»Und die Gewinne?« »Wozu müssen Sie das denn wissen?« fragte Dorandi, immer noch im selben gleichmütigen Ton.
»In diesem Stadium, Signore, habe ich noch keine Ahnung, was ich wissen muß und was nicht. Ich versuche lediglich, so viele Informationen wie möglich über Dottor Mitri und seine Angelegenheiten zu sammeln.«
»Zu welchem Zweck?«
»Um besser zu verstehen, warum er umgebracht wurde.«
Dorandi antwortete wie aus der Pistole geschossen: »Ich dachte, das ginge ziemlich klar aus dem Zettel hervor, den Sie gefunden haben.«
Brunetti hob beschwichtigend die Hand, als wollte er einräumen, daß da etwas dran war. »Ich glaube, es ist trotzdem wichtig für uns, soviel wie möglich über ihn zu erfahren.«
»Da war doch ein Zettel, oder?« fragte Dorandi nach.
»Woher wissen Sie das, Signor Dorandi?«
»Es stand in den Zeitungen, in zweien.«
Brunetti nickte. »Ja, es war ein Zettel da.«
»Stand da drauf, was die Zeitungen berichten?«
Brunetti, der die Zeitungen gelesen hatte, nickte wieder.
»Aber das ist absurd«, sagte Dorandi mit erhobener Stimme, als hätte Brunetti diese Worte geschrieben. »Es geht hier nicht um Kinderpornographie. Wir bieten keine Reisen für Päderasten an. Das Ganze ist einfach lächerlich.«
»Haben Sie eine Vorstellung, warum jemand das geschrieben haben könnte, Signore?«
»Wahrscheinlich wegen dieser Verrückten«, antwortete Dorandi ohne jeden Versuch, seinen Abscheu und seine Wut zu verbergen.
»Welche Verrückte meinen Sie?« fragte Brunetti.
Dorandi ließ sich mit der Antwort lange Zeit und studierte eingehend Brunettis Gesicht, als suchte er, welche Finte in dieser Frage stecken mochte. Schließlich sagte er: »Diese Frau, die den Stein geworfen hat. Sie hat das Ganze ausgelöst. Wenn sie nicht mit ihren irrwitzigen Vorwürfen angefangen hätte - Lügen, nichts als Lügen -, dann wäre von alledem nichts passiert.«
»Sind es Lügen, Signor Dorandi?«
»Wie können Sie das fragen!« Dorandi beugte sich zu Brunetti vor, und seine Stimme wurde lauter. »Natürlich sind es Lügen. Wir haben nichts mit Kinderschändern oder Päderasten zu tun.«
»Das stand nur auf dem Zettel, Signor Dorandi.«
»Wo ist da der Unterschied?«
»Es sind zwei verschiedene Anschuldigungen, Signore. Ich versuche zu verstehen, warum die Person, die diesen Zettel geschrieben hat, glauben konnte, daß Ihre Agentur in Päderastie und Kinderpornographie verwickelt ist.«
»Und ich habe es Ihnen schon gesagt«, erklärte Dorandi mit zunehmender Empörung. »Wegen dieser Frau. Sie ist
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