Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
beantworten.«
»Und womit revanchieren Sie sich?« stellte Brunetti endlich die Frage, die schon seit Jahren in ihm umging.
»Die meisten Informationen, die wir hier haben, sind sehr bald darauf Allgemeinwissen, Commissario, oder zumindest öffentlich bekannt.«
»Das beantwortet meine Frage nicht, Signorina.«
»Ich gebe niemals polizeiliche Informationen an Leute, die keinen Anspruch darauf haben.«
»Einen rechtlichen oder moralischen?« fragte Brunetti.
Sie sah ihn lange nachdenklich an, dann antwortete sie: »Einen rechtlichen.«
Brunetti wußte, daß man bestimmte Informationen nur mit anderen Informationen bezahlen konnte, darum bohrte er weiter: »Wie kommen Sie dann an das alles hier?«
Sie überlegte kurz. »Ich berate meine Freunde auch über effizientere Methoden der Informationsbeschaffung.«
»Und was heißt das in Normalsprache?«
»Ich bringe ihnen bei, wie und wo man am besten schnüffelt.« Bevor Brunetti dazu etwas sagen konnte, fuhr sie fort: »Aber ich habe noch nie - wirklich noch nie, Commissario - irgend jemandem eine Information gegeben, weder Freunden noch Leuten, die nicht meine Freunde sind, mit denen ich aber Informationen austausche. Und ich möchte, daß Sie mir das glauben.«
Er nickte zum Zeichen, daß er dazu willens war, und widerstand der Versuchung, zu fragen, ob sie schon einmal jemandem erklärt hatte, wie man an polizeiliche Informationen herankam. Statt dessen tippte er mit dem Finger auf die Mappen. »Kommt da noch mehr?«
»Vielleicht noch eine längere Klientenliste von Zambino, aber ich glaube, über Mitri gibt es nichts mehr zu erfahren.«
Aber natürlich gibt es das, dachte Brunetti bei sich: Es gab noch den Grund, warum ihm jemand ein Kabel um den Hals gelegt und zugezogen hatte, bis ihm das Lebenslicht ausging. »Dann sehe ich mir das jetzt mal an«, sagte er.
»Ich denke, es ist alles klar, aber wenn Sie noch Fragen haben, wenden Sie sich ruhig an mich.«
»Weiß noch jemand, daß Sie mir diese Sachen gegeben haben?«
»Natürlich nicht«, sagte sie und ging.
Er nahm sich zuerst den dünneren Ordner vor: Zambino. Der Anwalt stammte aus Modena und hatte nach dem Studium vor knapp zwanzig Jahren in Venedig zu praktizieren angefangen. Er war auf Gesellschaftsrecht spezialisiert und hatte sich in der Stadt einen Namen damit gemacht. Signorina Elettra hatte eine Liste seiner bekannteren Klienten beigelegt; Brunetti kannte nicht wenige von ihnen. Ein erkennbares Muster gab es nicht, und gewiß arbeitete Zambino nicht nur für die Betuchten: Die Liste enthielt so viele Kellner und Handelsvertreter wie Ärzte und Banker. Zwar übernahm er auch immer wieder ein paar Strafrechtsfälle, aber seine Haupteinnahmequelle waren die handelsrechtlichen Verfahren, von denen Vianello schon gesprochen hatte. Zambino war seit zwanzig Jahren mit einer Lehrerin verheiratet und hatte vier Kinder, von denen keines je mit der Polizei zu tun gehabt hatte. Außerdem war er, wie Brunetti feststellte, kein reicher Mann; zumindest hatte er eventuelle Reichtümer nicht in Italien angelegt.
Das unselige Reisebüro am Campo Manin gehörte Mitri seit sechs Jahren, wenngleich er mit dessen Alltagsgeschäften paradoxerweise nichts zu tun hatte. Ein Geschäftsführer, der die Agenturlizenz von ihm gepachtet hatte, kümmerte sich um alles Praktische; offenbar war er es, der die Reisen vermittelte, die Paola zu ihrer Tat provoziert und anscheinend zu dem Mord an Mitri geführt hatten. Brunetti notierte sich den Namen des Geschäftsführers und las weiter.
Mitris Frau war ebenfalls Venezianerin und zwei Jahre jünger als er. Obwohl sie nur ein Kind hatten, war sie nie berufstätig gewesen, und Brunetti kannte ihren Namen auch von keiner Mitgliederliste einer der wohltätigen Organisationen in der Stadt. Mitri hatte einen Bruder, eine Schwester und einen Vetter hinterlassen. Der Bruder, ebenfalls Pharmazeut, lebte in der Nähe von Padua, die Schwester in Verona und der Vetter in Argentinien.
Es folgten die Nummern von drei verschiedenen Bankkonten in der Stadt und eine Aufstellung von Staatsanleihen und Aktien, alles zusammen im Wert von über einer Milliarde Eire. Das war alles. Mitri war nie einer Straftat angeklagt gewesen und in einem guten halben Jahrhundert nie in irgendeiner Weise der Polizei aufgefallen.
Dafür, überlegte Brunetti weiter, war er wahrscheinlich jemandem aufgefallen, der - er versuchte den Gedanken zu verdrängen, aber es gelang ihm nicht - genauso dachte wie Paola
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