Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
war es unwahrscheinlich, daß Landi als Gefolgsmann Scarpas mit ihm darüber gesprochen hatte, und schließlich hatte Landi Paola festgenommen und ihre Aussage protokolliert.
Die beiden Männer gingen wieder weiter, bevor Brunetti antwortete: »Sie sagt, es sei unrecht, Sexreisen zu organisieren, und jemand müsse etwas dagegen tun.« Er wartete, ob Vianello ihm eine Zwischenfrage stellen wollte, und als der Sergente das nicht tat, fuhr er fort: »Sie hat zu mir gesagt, wenn das Gesetz nichts dagegen unternehme, werde sie es eben tun.« Er verstummte erneut und wartete auf Vianellos Reaktion.
»Das erste Mal, war das auch Ihre Frau?«
»Ja«, antwortete Brunetti, ohne zu zögern.
Links, rechts, links, rechts - vollkommen im Gleichschritt. Schließlich sagte der Sergente: »Klasse.«
Brunetti fuhr herum und starrte den Sergente an, aber er sah nur sein kantiges Profil mit der langen Nase. Bevor er jedoch nachfragen konnte, blieb Vianello stehen und sagte: »Wenn es Nummer 607 ist, müßte es gleich hier um die Ecke sein.« Und als sie um diese Ecke bogen, standen sie tatsächlich vor dem Haus.
Mitris Klingel war die oberste von dreien; Brunetti drückte darauf, wartete und klingelte noch einmal.
Eine Stimme, die infolge Trauer oder schlechter Qualität der Sprechanlage wie aus dem Grab klang, fragte, wer da sei.
»Commissario Brunetti. Ich möchte mit Signora Mitri sprechen.«
Ein längeres Schweigen folgte, dann antwortete die Stimme: »Warten Sie bitte«, und weg war sie.
Sie warteten weit über eine Minute, bevor das Türschloß klickte. Brunetti drückte die Tür auf und trat als erster in den großen Innenhof, auf dem rechts und links von einem runden Brunnen zwei hohe Palmen wuchsen. Licht spendete der offene Himmel über ihnen.
Sie begaben sich zum rückwärtigen Teil des Gebäudes, wo die Treppe war. Genau wie in Brunettis Palazzo blätterte auch hier die Farbe von den Wänden, Opfer des Salzes, das von unten aus dem Wasser emporstieg. Placken so groß wie Hundertlirestücke lagen, zur Seite gefegt oder getreten, rechts und links auf den Stufen; wo sie abgefallen waren, sah man die nackten Backsteinwände. Auf dem ersten Treppenabsatz angekommen, erkannten sie den horizontalen Strich, bis zu dem die Feuchtigkeit gekommen war; darüber gab es keine Farbplacken mehr auf den Treppen, und die Wände waren glatt und weiß.
Brunetti dachte an den Kostenvoranschlag, den eine Baufirma den sieben Eigentümern seines Palazzo für die Beseitigung der Feuchtigkeit gemacht hatte, und an die gewaltige Höhe der Summe, worauf er den deprimierenden Gedanken sogleich verdrängte.
Oben stand die Tür offen, und ein Mädchen, etwa in Chiaras Alter, stand halb versteckt dahinter.
Brunetti blieb stehen und sagte, ohne die Hand auszustrecken: »Ich bin Commissario Brunetti, und das ist Sergente Vianello. Wir möchten mit Signora Mitri sprechen.«
Das Mädchen rührte sich nicht. »Meine Großmutter fühlt sich nicht wohl.« Ihre Stimme klang zittrig vor Nervosität.
»Das tut mir leid«, sagte Brunetti. »Und mir tut auch sehr leid, was deinem Großvater zugestoßen ist. Aber deswegen sind wir hier, weil wir da etwas tun wollen.«
»Meine Großmutter sagt, da kann keiner mehr etwas tun.«
»Vielleicht können wir den finden, der es getan hat.«
Das Mädchen überlegte. Sie war so groß wie Chiara und hatte braunes Haar, das in der Mitte gescheitelt war und ihr bis auf die Schultern fiel. Zu einer Schönheit würde sie nicht heranwachsen, dachte Brunetti, aber das hatte nichts mit ihren Zügen zu tun, die sowohl regelmäßig als auch gut geschnitten waren: weit auseinanderstehende Augen, ausdrucksvoller Mund. Aber die völlige Leblosigkeit beim Sprechen und auch beim Zuhören ließ ihre spätere Unansehnlichkeit zwangsläufig erscheinen. Sie wirkte so unbeteiligt, als hätte sie mit dem, was sie sagte, gar nichts zu tun und interessierte sich auch sonst nicht für das, was gesprochen wurde. »Dürfen wir hereinkommen?« fragte er und machte dabei schon einen Schritt nach vorn, um ihr die Entscheidung zu erleichtern oder sie überhaupt erst zu einer zu zwingen.
Sie sagte nichts, trat aber zurück und hielt ihnen die Tür auf. Beide Männer folgten ihr mit einem höflichen »permesso« in die Wohnung.
Ein langer Mittelgang führte von der Tür zu vier gotischen Fenstern am anderen Ende. Wenn Brunettis Orientierungssinn ihn nicht täuschte, kam das Licht vom Rio di San Girolamo, zumal die Entfernung zu den von hier
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