Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
aus sichtbaren Häusern sehr groß war: So breit konnte nur der Rio sein.
Das Mädchen führte sie ins erste Zimmer rechts, ein großes Wohnzimmer mit einem Kamin zwischen zwei Fenstern, die mindestens zwei Meter hoch waren. Sie zeigte auf das Sofa vor dem Kamin, aber keiner der beiden setzte sich.
»Würdest du deiner Großmutter bitte sagen, daß wir hier sind?« bat Brunetti.
Sie nickte, erwiderte aber: »Ich glaube nicht, daß sie mit jemandem reden will.«
»Sag ihr bitte, es ist sehr wichtig«, beharrte Brunetti, und um klarzumachen, daß er zu bleiben gedachte, zog er den Mantel aus, legte ihn über eine Stuhllehne und setzte sich ans eine Ende des Sofas. Er bedeutete Vianello, dasselbe zu tun, und der Sergente legte seinen Mantel über den von Brunetti und setzte sich auf das andere Sofaende. Dann zückte er sein Notizbuch und klemmte seinen Kugelschreiber daran. Keiner sagte ein Wort.
Das Mädchen verließ das Zimmer, und die beiden Männer nutzten die Gelegenheit, sich umzusehen. Ein großer vergoldeter Spiegel hing über einem Tisch mit einem riesigen Strauß roter Gladiolen, deren Farbe und Zahl von dem Glas reflektiert wurden, so daß sie sich scheinbar verdoppelten und das ganze Zimmer füllten. Ein Seidenteppich, den Brunetti für einen Nain hielt, lag vor dem Kamin, aber so dicht beim Sofa, daß man, wenn man dort saß, nicht umhin kam, die Füße daraufzustellen. An der Wand gegenüber den Blumen stand eine Eichentruhe, darauf ein großer, altersgrauer Messingteller. Der Reichtum war diskret, aber offenkundig.
Bevor sie etwas sagen konnten, ging die Tür auf, und eine Frau in den Fünfzigern kam herein. Sie war stämmig und trug ein graues Wollkleid, das ihr bis gut über die Knie ging. Sie hatte dicke Fesseln und kleine Füße, die in unbequem eng aussehenden Schuhen steckten. Frisur und Make-up waren perfekt und verrieten einen großen Aufwand an Zeit und Mühe. Ihre Augen waren heller als die ihrer Enkelin, ihre Züge gröber; überhaupt war, abgesehen von dieser sonderbaren Leblosigkeit, die Familienähnlichkeit zwischen ihnen nicht sehr groß.
Beide Männer erhoben sich sofort, und Brunetti ging auf sie zu. »Signora Mitri?« fragte er.
Sie nickte, sagte aber nichts.
»Ich bin Commissario Brunetti, und das ist Sergente Vianello. Wir möchten kurz mit Ihnen über Ihren Mann und diese schreckliche Sache sprechen, die ihm zugestoßen ist.« Sie schloß bei diesen Worten die Augen, blieb aber stumm.
Ihr Gesicht war ebenso leblos wie das ihrer Enkelin, und Brunetti fragte sich unwillkürlich, ob die Tochter in Rom, deren Kind das Mädchen sein mußte, wohl auch so unbewegliche Züge hatte.
»Was möchten Sie wissen?« fragte Signora Mitri, die immer noch vor Brunetti stand. Ihre Stimme hatte etwas Quäkiges, wie es bei Frauen nach den Wechseljahren oft der Fall ist. Obwohl sie, wie Brunetti wußte, aus Venedig war, sprach sie reines Italienisch, genau wie er.
Bevor Brunetti auf ihre Frage antwortete, trat er vom Sofa fort und zeigte auf den Platz, auf dem er gesessen hatte. Sie ließ sich mechanisch darauf nieder, und erst jetzt nahmen auch die beiden Männer wieder Platz, Vianello dort, wo er vorher schon gesessen hatte, Brunetti in einem samtbezogenen Sessel dem Fenster gegenüber.
»Signora, ich möchte wissen, ob Ihr Gatte zu Ihnen je etwas von Feinden gesagt oder davon gesprochen hat, daß jemand ihm schaden will.«
Sie schüttelte schon den Kopf, bevor Brunetti auch nur zu Ende gesprochen hatte, sagte aber nichts, sondern beließ es dabei.
»Er hat nie über Meinungsverschiedenheiten mit anderen gesprochen, mit Geschäftspartnern? Vielleicht über eine Abmachung oder einen Vertrag, bei dem nicht alles nach Wunsch gelaufen ist?«
»Nein, nichts dergleichen«, sagte sie endlich.
»Und im Privatleben? Hatte er je Ärger mit Nachbarn, vielleicht mit einem Freund?«
Sie schüttelte auf diese Frage den Kopf, sagte aber wieder nichts.
»Signora, ich bitte um Entschuldigung für meine Unwissenheit, aber ich weiß so gut wie nichts über Ihren Mann.« Sie reagierte nicht. »Würden Sie mir sagen, wo er gearbeitet hat?« Sie schien sich über diese Frage zu wundern, als hätte Brunetti damit ausdrücken wollen, daß Mitri acht Stunden täglich in einer Fabrikhalle gearbeitet habe, darum erklärte er: »Ich meine, in welcher seiner Fabriken er sein Büro hatte oder wo er die meiste Zeit verbrachte.«
»Eine Chemiefabrik. In Marghera. Da hat er ein Büro.«
Brunetti nickte, fragte aber
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