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Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti

Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti

Titel: Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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bekommen so oft zu sehen, wie Menschen erschossen oder erschlagen werden, und dann sehen wir uns selbst zu ...« Hier unterbrach er sich, lächelte ein wenig und erklärte: »Ich meine, der Polizei. Wir sehen uns selbst dabei zu, wie wir alle möglichen schrecklichen Dinge aufdecken. Aber die Polizisten sind nicht echt und die Dinge auch nicht. Und wenn wir soviel davon gesehen haben, kommen uns die wirklichen Scheußlichkeiten, die passieren, oder die anderen passieren, auch nicht mehr echt vor.«
    Brunetti war von Vianellos Rede etwas verwirrt, aber er glaubte zu verstehen, was er meinte - und war derselben Ansicht -, weshalb er antwortete: »Wie weit sind sie weg, diese Mädchen, von denen er nichts weiß - fünfzehntausend Kilometer? Zwanzigtausend? Ich denke mal, es ist sehr leicht, das, was ihnen widerfährt, nicht als wirklich zu betrachten, oder wenn doch, ist es ihm wahrscheinlich nicht sehr wichtig.«
    Vianello nickte. »Sie glauben, das wird immer schlimmer?«
    Brunetti hob die Schultern. »Es gibt Tage, an denen ich glaube, es wird alles schlimmer, und dann gibt es Tage, an denen ich das weiß. Aber dann kommt die Sonne heraus, und ich ändere meine Meinung.«
    Vianello nickte wieder und machte leise: »Mhm, mhm.«
    »Und Sie?« fragte Brunetti.
    »Ich denke, es wird schlimmer«, antwortete der Sergente, ohne zu zögern. »Aber es geht mir wie Ihnen, ich habe Tage, an denen ich alles schön finde: Die Kinder springen an mir hoch, wenn ich nach Hause komme, oder Nadia ist glücklich, und das ist ansteckend. Aber insgesamt finde ich, daß es immer schlimmer wird, in dieser Welt zu leben.«
    In der Hoffnung, diese für den Sergente ungewöhnliche Stimmung etwas aufzuhellen, meinte Brunetti: »Viel Auswahl haben wir ja nicht, oder?«
    Vianello ließ sich herab, darüber zu lachen. »Nein, das wohl nicht. Sie ist im guten wie im schlechten alles, was wir haben.« Er schwieg ein Weilchen und sah den Palazzo näher kommen, in dem das Casino war. »Vielleicht ist es für uns anders, weil wir Kinder haben.«
    »Wieso?« fragte Brunetti.
    »Weil wir nach vorn in die Welt sehen können, in der sie einmal leben werden, und zurück in die, in der wir selbst aufgewachsen sind.«
    Brunetti, der mit großer Ausdauer Geschichtsbücher las, erinnerte sich an die unzähligen Tiraden alter Römer gegen die Zeiten, in denen sie gerade lebten, wobei sie stets behaupteten, daß die Generation ihrer eigenen Jugend oder die ihrer Eltern der jeweils jetzigen in jeder Hinsicht überlegen gewesen sei. Er dachte an ihre wütenden Ausfälle gegen die Gefühllosigkeit der Jugend, ihre Trägheit, ihre Dummheit, ihren Mangel an Respekt und Ehrerbietung gegenüber den Älteren, und diese Erinnerung munterte ihn beträchtlich auf. Wenn jede Zeit so dachte, dann war jede vielleicht im Irrtum, und die Dinge wurden gar nicht schlimmer. Er wußte nicht, wie er Vianello das erklären sollte, und er scheute davor zurück, Plinius zu zitieren, weil er fürchtete, daß der Sergente diesen Autor gar nicht kannte und sich womöglich beschämt fühlen würde, wenn er das zugeben müßte.
    Statt dessen klopfte er ihm kameradschaftlich auf die Schulter, als das Boot bei San Marcuola anlegte, wo sie ausstiegen und von da an hintereinander durch die schmale calle gingen, um denen Platz zu lassen, die zum Anleger hasteten.
    »Wir werden das wohl nicht lösen, nicht wahr, Commissario?« meinte Vianello, als sie die breitere Straße hinter der Kirche erreichten und wieder nebeneinander gehen konnten.
    »Ich fürchte, da kann überhaupt niemand etwas lösen«, sagte Brunetti und war im selben Moment unzufrieden mit seiner ausweichenden Antwort.
    »Darf ich Sie etwas fragen, Commissario?« fragte der Sergente im Weitergehen. Beide kannten die Adresse und wußten, wo das Haus ungefähr sein mußte. »Zu Ihrer Frau.«
    Brunetti hörte schon am Ton der Frage, worum es gehen würde. »Ja?«
    Den Blick starr nach vorn gerichtet, obwohl ihnen niemand mehr entgegenkam, fragte Vianello: »Hat sie Ihnen gesagt, warum sie das getan hat?«
    Brunetti blieb im Gleichschritt mit seinem Sergente. Er sah ihn kurz von der Seite an und antwortete: »Ich denke, das steht im Festnahmeprotokoll.«
    »Ach«, sagte Vianello. »Das wußte ich nicht.«
    »Haben Sie es denn nicht gelesen?«
    Vianello blieb kurz stehen und wandte sich Brunetti zu. »Da es darin um Ihre Frau ging, hätte ich es nicht recht gefunden, es zu lesen.« Vianello war als ein Getreuer Brunettis bekannt, daher

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