Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
wahrscheinlich einem mit Plastik ummantelten Draht: Bei keinem der Opfer hatte man am Hals irgendwelche Fäden oder Textilfasern gefunden.
Sie legte noch ein Blatt neben die beiden anderen. Davide Narduzzi war vor einem Jahr in Padua umgebracht worden, und man hatte die Tat einem marokkanischen Straßenhändler zur Last gelegt. Aber bevor man ihn verhaften konnte, war er verschwunden. Brunetti las die Einzelheiten: Wie es aussah, war Narduzzi von hinten angegriffen und erdrosselt worden, bevor er sich wehren konnte. Dieselbe Hergangsbeschreibung traf auch auf die beiden anderen Morde zu. Und auf den an Mitri.
»Der Marokkaner?«
»Keine Spur.«
»Warum kommt mir der Name so bekannt vor?« fragte Brunetti.
»Narduzzi?«
»Ja.«
Signorina Elettra legte das letzte Blatt vor Brunetti. »Rauschgift, bewaffneter Raubüberfall, Körperverletzung, Kontakte zur Mafia und Verdacht auf Erpressung««, las sie aus der Liste der Anzeigen vor, die Narduzzi sich im Lauf seines kurzen Lebens eingehandelt hatte. »Stellen Sie sich vor, was für Freunde so einer haben muß. Da wundert es nicht, daß der Marokkaner verschwunden ist.«
Brunetti hatte rasch den Rest durchgelesen. »Falls es ihn je gegeben hat.«
»Wie meinen Sie?«
»Sehen Sie mal her«, sagte er, den Finger auf einem der Namen. Zwei Jahre vorher war Narduzzi in eine Schlägerei mit Ruggiero Palmieri verwickelt gewesen, dem mutmaßlichen Mitglied einer der gewalttätigsten Verbrecherbanden in Norditalien. Palmieri war im Krankenhaus gelandet, hatte aber keine Anzeige erstatten wollen. Brunetti wußte genug über solche Leute, um sich darüber im klaren zu sein, daß sie derlei Angelegenheiten unter sich regelten.
»Palmieri?« fragte Signorina Elettra. »Den Namen kenne ich nicht.«
»Das ist auch besser so. Er hat nie hier gearbeitet - falls das der richtige Ausdruck ist. Gott sei Dank.«
»Kennen Sie ihn?«
»Ich bin ihm einmal begegnet, vor Jahren. Schlimm. Ein ganz schlimmer Mensch.«
»Würde er so etwas tun?« fragte sie und tippte mit dem Finger auf die beiden anderen Blätter.
»Ich glaube, das ist sein Beruf - Menschen aus dem Weg zu räumen«, antwortete Brunetti.
»Wie kommt es dann, daß dieser andere, Narduzzi, sich mit ihm angelegt hat?«
Brunetti schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.« Er las noch einmal die drei kurzen Berichte durch und stand auf. »Sehen wir mal, was Sie über Palmieri herausfinden können«, sagte er und begleitete sie hinunter in ihr Büro.
Es war leider nicht sehr viel. Palmieri war vor einem Jahr untergetaucht, nachdem man ihn als einen der drei Männer identifiziert hatte, die einen gepanzerten Geldtransport überfallen hatten. Zwei Wachmänner waren dabei verletzt worden, aber den Dieben war es nicht gelungen, an die gut acht Milliarden Lire heranzukommen, die in dem Wagen transportiert wurden.
Zwischen den Zeilen las Brunetti, daß die Polizei wohl keine großen Anstrengungen unternommen hatte, Palmieri zu finden: Es hatte keine Toten gegeben, nichts war gestohlen worden. Aber jetzt ging es um Mord.
Brunetti dankte Signorina Elettra und ging zu Vianello. Der Sergente saß, die Stirn in die Handflächen gestützt, über einen Stapel Papiere gebeugt. Es war sonst niemand im Raum, also konnte Brunetti ihn ein Weilchen beobachten, bevor er an seinen Schreibtisch ging. Vianello hörte ihn kommen und sah auf.
»Ich glaube, ich möchte ein paar Gefälligkeiten einfordern«, sagte Brunetti ohne Einleitung.
»Von wem?«
»Von Leuten in Padua.«
»Guten oder bösen?«
»Sowohl als auch. Wie viele kennen wir?«
Wenn Vianello sich geschmeichelt fühlte, weil er durch den Plural mit einbezogen wurde, ließ er es sich nicht anmerken. Er dachte kurz nach und antwortete schließlich: »Einige. Von beiden Sorten. Was wollen wir sie fragen?«
»Ich interessiere mich für Ruggiero Palmieri.« Brunetti sah, daß Vianello mit dem Namen etwas anzufangen wußte, und wartete, während der Sergente sein Gedächtnis nach Leuten durchforstete, die ihnen etwas über den Mann sagen könnten.
»Welcher Art sind die Informationen, die Sie brauchen, Commissario?«
»Ich möchte wissen, wo er war, als diese Männer ums Leben kamen«, sagte Brunetti und legte ihm Signorina Elettras Computerausdrucke auf den Tisch. »Und dann möchte ich noch wissen, wo er an dem Abend war, als Mitri ermordet wurde.«
Vianello hob fragend das Kinn, und Brunetti erklärte: »Ich habe gehört, daß er ein bezahlter Killer ist. Er hatte vor ein paar
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