Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
ironischen Bemerkungen kommentierte, fand Chiara es einfach herrlich, sie allabendlich für sich zu haben, und ließ es sich nicht nehmen, sie zu Kartenspielen zu animieren, mit ihnen einen Tierfilm nach dem anderen im Fernsehen anzugucken und sogar ein Monopoly-Turnier zu veranstalten, das sich bis ins neue Jahr auszudehnen drohte.
Paola ging täglich in die Universität und Brunetti in die Questura. Zum erstenmal in ihrem Berufsleben waren beide froh über die Berge von Papierkram, mit denen der byzantinische Staat, für den sie beide arbeiteten, sie eindeckte.
Wegen Paolas Verwicklung in den Fall ging Brunetti nicht zu Mitris Beerdigung, was er normalerweise getan hätte. Zwei Tage danach nahm er sich noch einmal die Berichte des Labors und der Spurensicherung zu dem Fall sowie Rizzardis vierseitigen Autopsiebericht vor. Er brauchte dafür einen großen Teil des Vormittags und fragte sich am Ende, warum er eigentlich in seinem beruflichen wie privaten Leben soviel Zeit darauf verwandte, immer wieder dieselben Dinge durchzugehen. Während seines vorübergehenden Exils von der Questura hatte er Gibbon zu Ende gelesen und beschäftigte sich zur Zeit mit Herodot, und für die Zeit danach hatte er schon die Ilias bereitliegen. Alle diese Tode, alle diese gewaltsam verkürzten Leben.
Er nahm den Autopsiebericht und ging damit hinunter zu Signorina Elettra, die ihm wieder einmal als das reine Gegengift zu allem erschien, worüber er gerade nachgedacht hatte. Ihr Blazer war so rot, wie er noch keinen gesehen hatte, und an ihrer weißen Seidenbluse war der oberste Knopf offen. Sonderbarerweise tat sie gerade nichts, als er in ihr Zimmer kam, sondern saß nur an ihrem Schreibtisch, das Kinn auf die Hand gestützt, und starrte durchs Fenster zur Kirche San Lorenzo hinüber, von der man in der Ferne ein Eckchen sehen konnte.
»Ist alles in Ordnung, Signorina?« fragte er, als er sie so dasitzen sah.
Sie richtete sich auf und lächelte. »Natürlich, Commissario. Ich habe nur über ein Gemälde nachgedacht.«
»Ein Gemälde?«
»Mhm«, machte sie, stützte das Kinn wieder auf die Hand und sah erneut aus dem Fenster.
Brunetti drehte sich um und folgte ihrem Blick, als glaubte er, das fragliche Bild dort sehen zu können, doch er sah nur das Fenster und die Kirche dahinter. »Welches?« fragte er.
»Das im Museo Correr, die Kurtisanen mit ihren Hündchen.«
Er kannte das Bild, wußte aber nie, wer es gemalt hatte. Darauf saßen die Damen ebenso geistesabwesend und gelangweilt da wie Signorina Elettra bei seinem Eintreten und blickten zur Seite, als interessierten sie sich nicht für das Leben, das sie umfing.
»Und was ist damit?«
»Ich weiß nie so recht, ob es wirklich Kurtisanen oder nur reiche Damen aus jener Zeit sind, die es so langweilt, alles zu besitzen und tagein, tagaus nichts zu tun zu haben, daß sie nur dasitzen und in die Gegend stieren können.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ach, ich weiß nicht«, antwortete sie achselzuckend.
»Langweilen Sie sich hier?« fragte er und deutete auf das kleine Büro und alles, was damit einherging. Er hoffte sehr auf ein Nein von ihr.
Sie wandte den Kopf und sah zu ihm auf. »Soll das ein Witz sein, Commissario?«
»Nein, keineswegs. Warum fragen Sie?«
Sie sah ihm eine ganze Weile ins Gesicht, bevor sie antwortete: »Nein, ich langweile mich hier überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil.« Brunetti wunderte sich gar nicht darüber, wie froh ihn diese Antwort machte. Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Obwohl ich nie so genau weiß, welche Stellung ich hier eigentlich habe.«
Brunetti verstand nicht, was sie damit meinte. Offiziell war sie die Sekretärin des Vice-Questore. Außerdem sollte sie zeitweise noch Brunetti und einem anderen Commissario als Sekretärin zur Verfügung stehen, aber sie hatte für beide noch nie einen Brief oder auch nur eine Aktennotiz geschrieben. »Sie meinen sicher Ihre wirkliche Stellung im Unterschied zu Ihrer offiziellen?« fragte er.
»Ja, natürlich.«
Brunetti hatte während dieses Gesprächs die Hand mit dem Bericht sinken lassen. Jetzt hob er sie wieder, streckte die Mappe ein Stückchen zu ihr hinüber und sagte: »Ich finde, daß Sie unsere Augen, unsere Nase und der lebendige Geist unserer Neugier sind, Signorina.«
Sie hob den Kopf und belohnte ihn mit ihrem strahlendsten Lächeln. »Wäre schön, so etwas in meiner Stellenbeschreibung zu lesen, Commissario.«
»Ich halte es für das beste«, antwortete
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