Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
alle seine weiteren Bedeutungen umschrieb.
Sandi nickte wieder.
»Und Mitri?« fragte Brunetti.
Sandi zog in gespielter Verwirrung die Augenbrauen hoch.
»Hatte er mit der Fabrik etwas zu tun?«
»Mit welcher?«
Brunetti hob die Hand und ließ seine Faust unmittelbar vor Sandi auf den Tisch sausen. Der schrak zusammen, als hätte Brunetti ihn geschlagen. »Stehlen Sie mir nicht die Zeit, Signor Sandi«, schrie Brunetti. »Stehlen Sie mir nicht die Zeit mit dämlichen Fragen.« Als Sandi nicht antwortete, beugte er sich über den Tisch und fragte drohend: »Haben Sie mich verstanden?«
Sandi nickte.
»Na also«, sagte Brunetti. »Was war nun mit der Fabrik? Hatte Mitri die Finger drin?«
»Muß er wohl.«
»Wieso?«
»Manchmal ist er hergekommen, um irgendeine Mixtur zusammenzustellen oder seinem Schwager zu erklären, wie etwas auszusehen hat. Er mußte wohl dafür sorgen, daß die Sachen, die verpackt wurden, richtig aussahen.« Sandi blickte zu Brunetti auf und fügte hinzu: »Ich habe das nicht alles verstanden, aber ich glaube, deswegen ist er immer gekommen.«
»Wie oft?«
»Vielleicht einmal im Monat, manchmal auch öfter.«
»Wie kamen die beiden miteinander zurecht?« fragte Brunetti, und damit Sandi nicht erst fragte, wer, fügte er gleich hinzu: »Ich meine Bonaventura und Mitri.«
Sandi dachte eine Weile nach, bevor er antwortete: »Nicht gut. Mitri war mit der Schwester von Bonaventura verheiratet, also mußten sie irgendwie klarkommen, aber ich glaube, gefallen hat ihnen das beiden nicht.«
»Und der Mord an Mitri? Was wissen Sie darüber?«
Sandi schüttelte wiederholt den Kopf. »Nichts. Gar nichts.«
Brunetti ließ sich lange Zeit, bevor er fragte: »Und hier in der Fabrik, gab's da Gerede?«
»Gerede gibt's immer.«
»Über den Mord, Signor Sandi. Gab's da Gerede?«
Sandi schwieg, entweder weil er sich zu erinnern versuchte oder weil er verschiedene Möglichkeiten abwägte. Schließlich brummelte er: »Es gab Gerüchte, daß Mitri die Fabrik übernehmen wollte.«
»Warum?«
»Warum es Gerüchte gab, oder warum er die Fabrik übernehmen wollte?«
Brunetti holte tief Luft und sprach ganz ruhig. »Warum wollte er sie übernehmen?«
»Weil er viel besser war als Bonaventura. Mit dem als Chef, das war eine Katastrophe. Nie hat einer pünktlich sein Geld gekriegt. Die Organisation war miserabel. Ich wußte nie, wann die Sachen versandfertig sein würden.« Brunetti sah ihn mißmutig den Kopf schütteln, das Bild des gewissenhaften Buchhalters, den fiskalische Verantwortungslosigkeit in die Verzweiflung trieb.
»Sie sagen, Sie sind der Werkmeister der Fabrik, Signor Sandi.« Sandi nickte. »Es klingt für mich so, als ob Sie mehr vom Betrieb verstanden hätten als der Besitzer.«
Sandi nickte wieder, als hörte er gar nicht ungern, daß jemand das einmal begriff.
Plötzlich klopfte es, und als die Tür einen Spaltbreit aufging, sah Brunetti auf dem Gang della Corte stehen und ihm Zeichen machen, er solle herauskommen. Sowie Brunetti draußen war, sagte della Corte: »Seine Frau ist hier.«
»Bonaventuras?«
»Nein, Mitris.«
25
W ie ist sie hierhergekommen?« fragte Brunetti, und als er sah, in welche Verwirrung er della Corte mit dieser Frage stürzte, fügte er erklärend hinzu: »Ich meine, woher wußte sie Bescheid?«
»Sie sagt, sie war bei seiner Frau - Bonaventuras - und ist hergekommen, als sie von seiner Festnahme hörte.«
Brunettis Zeitgefühl war durch die Ereignisse des Vormittags durcheinandergeraten, und er war überrascht, als er auf seine Uhr sah und feststellte, daß es schon fast zwei war; es waren Stunden vergangen, seit sie die beiden Männer in die Questura gebracht hatten, er hatte es nur im Eifer des Gefechts nicht gemerkt. Plötzlich überkam ihn Hunger, und sein ganzer Körper schien zu vibrieren wie unter Strom.
Am liebsten hätte er gleich mit ihr gesprochen, wußte aber, daß dabei nichts Gutes herauskommen würde, bevor er etwas gegessen oder irgendwie sonst dieses Zittern in seinem Körper niedergekämpft hatte. Kam das vom Alter oder vom Streß, oder mußte er Sorge haben, daß womöglich eine bedrohliche Krankheit dahintersteckte? »Ich muß etwas essen«, sagte er zu della Corte, der darüber zu verblüfft war, um es sich nicht anmerken zu lassen.
»Unten an der Ecke ist eine Bar, da kriegst du sicher was.« Er ging mit Brunetti zur Eingangstür und zeigte hinüber, dann drehte er sich mit der Erklärung, er müsse in Padua anrufen, um
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