Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
und ging zurück.
Brunetti begab sich in die Bar, wo er ein Sandwich bestellte, von dem er nichts schmeckte, und zwei Gläser Mineralwasser trank, die seinen Durst nicht löschten. Wenigstens war aber dieses Zittern weg, und er fühlte sich wieder Herr seiner selbst, obwohl es ihn noch immer beunruhigte, daß sein Körper derart stark auf die Ereignisse des Vormittags reagiert hatte.
Er ging zur Questura zurück und ließ sich die Nummer von Palmieris Handy geben. Nachdem er sie hatte, rief er Signorina Elettra an und bat sie, alles andere liegenzulassen und eine Liste aller Anrufe zu besorgen, die in den beiden letzten Wochen von diesem Apparat aus geführt worden oder darauf angekommen waren, ebenso für die Privat- und Firmenanschlüsse von Mitri und Bonaventura. Dann bat er sie, einen Augenblick zu warten, und fragte den Beamten, dessen Telefon er benutzte, wo Palmieris Leiche jetzt sei. In der Leichenhalle des örtlichen Krankenhauses, antwortete dieser ihm, worauf er Signorina Elettra anwies, Rizzardi Bescheid zu sagen, damit dieser unverzüglich jemanden schicken konnte, der Gewebeproben nahm. Sie sollten mit denen verglichen werden, die sie unter Mitris Fingernägeln gefunden hatten.
Als das erledigt war, ließ er sich zu Signora Mitri führen. Nach jenem einen Gespräch mit ihr hatte Brunetti den Eindruck gehabt, daß sie über den Tod ihres Mannes nichts Näheres wußte, weshalb er sie nicht noch einmal ins Verhör genommen hatte. Daß sie nun aber hier aufgetaucht war, ließ ihn seine Entscheidung anzweifeln.
Ein Uniformierter kam ihn holen und führte ihn über den Korridor. Er blieb vor der Tür des Zimmers neben dem stehen, wo Bonaventura festgehalten wurde. »Sein Anwalt ist bei ihm«, sagte der Beamte zu Brunetti. Dann zeigte er auf die andere Tür und fügte hinzu: »Die Frau ist da drin.«
»Sind sie zusammen gekommen?« fragte Brunetti.
»Nein. Er ist erst kurz nach ihr angekommen, und offenbar kennen sie sich nicht.«
Brunetti dankte ihm und ging an die Einwegscheibe, um einen Blick hindurchzuwerfen. Bonaventura gegenüber saß ein Mann, von dem Brunetti nur den Hinterkopf und die Schultern sehen konnte.
Er ging weiter, zu der anderen Tür, und betrachtete ein paar Augenblicke die Frau, die dahinter saß.
Wieder überraschte es ihn, wie stämmig sie gebaut war. Heute trug sie ein Wollkostüm mit kastenförmig geschnittenem Rock, der keinerlei Zugeständnisse an Mode oder Stil machte. Solche Kostüme trugen Frauen ihrer Größe, ihres Alters und ihrer Klasse schon seit Jahrzehnten und würden sie wohl auch in künftigen Jahrzehnten noch tragen. Sie hatte kaum Make-up aufgelegt, und was sie an Lippenstift aufgetragen haben mochte, hatte sie im Lauf des Tages abgekaut. Ihre Wangen waren so rund, als hätte sie einem Kind eine komische Grimasse schneiden wollen und sie eigens dafür aufgeblasen.
Sie hielt die Hände im Schoß gefaltet und saß mit fest aneinandergepreßten Knien da. Ihr Blick war auf das Fenster im oberen Teil der Tür geheftet. Sie wirkte älter als beim letzten Mal, aber Brunetti wußte nicht, warum. Ihre Blicke begegneten sich, und Brunetti hatte das beunruhigende Gefühl, daß sie ihn geradewegs ansah, obwohl er ganz genau wußte, daß sie nur eine scheinbar schwarze Scheibe sehen konnte. Dennoch fixierten ihre Augen ihn so starr, daß er als erster den Blick abwandte.
Er öffnete die Tür und trat ein. »Guten Tag, Signora.« Er ging auf sie zu und streckte die Hand aus.
Sie sah ihn mit unbewegtem Gesicht, aber wachen Augen an. Sie stand nicht auf, nahm jedoch seine Hand und drückte sie, weder leicht noch schlaff.
Brunetti setzte sich ihr gegenüber. »Sie sind gekommen, um Ihren Bruder zu sehen, Signora?«
Ihre Augen wirkten kindlich, und es stand eine Ratlosigkeit darin, die Brunetti für echt hielt. Sie öffnete den Mund, und ihre Zunge schoß nervös hervor, fuhr einmal über die Lippen und verschwand wieder. »Ich wollte ihn fragen...«, begann sie, vollendete den Satz aber nicht.
»Was wollten Sie ihn fragen, Signora?« half Brunetti nach.
»Ich weiß nicht, ob ich das einem Polizisten sagen sollte.«
»Warum nicht?« Brunetti beugte sich ein wenig vor.
»Weil.«, begann sie, hielt aber wieder inne. Dann, als hätte sie ihm etwas erklärt und er es verstanden, sagte sie: »Ich muß es wissen.«
»Was müssen Sie wissen, Signora?« drängte Brunetti sanft.
Sie preßte die Lippen zusammen, und vor Brunettis Augen verwandelte sie sich in eine zahnlose alte
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