Brunetti 09 - Feine Freunde
Stockwerks darunter zu werfen, von sich abzuwehren. Für die Dauer dieses einen Augenblicks hatte er aufgehört, der eifrige, farblose Bürokrat zu sein, der nicht viel mehr konnte, als die Vorschriften seines Amtes herunterzubeten, und war für Brunetti zu einem Menschen wie er selbst geworden, voll der Schwächen, die uns menschlich machen.
Brunetti glaubte nicht eine Sekunde daran, daß Franco Rossi versehentlich von dem Gerüst gestürzt war. Und er verwarf auch gleich die Möglichkeit, daß Rossis Versuch, ihn anzurufen, einem unbedeutenden Problemchen in seiner Dienststelle gegolten haben könnte, etwa daß jemand dabei erwischt worden war, sich illegal eine Baugenehmigung zu beschaffen.
Mit diesen Gewißheiten im Kopf ging Brunetti wieder in Signorina Elettras Büro und legte die Zeitung auf ihren Schreibtisch. Sie saß noch immer mit dem Rücken zu ihm und lachte leise über etwas, das sie gerade gehört hatte. Ohne sich ihr bemerkbar zu machen und ohne einen einzigen Gedanken an seine Einbestellung bei Patta zu verschwenden, verließ Brunetti die Questura und schlug den Weg zum Ospedale Civile ein.
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A ls Brunetti sich dem Krankenhaus näherte, mußte er daran denken, wie oft sein Beruf ihn schon hierhergeführt hatte; dabei war es ihm weniger um die jeweiligen Personen zu tun, die zu besuchen seine Aufgabe gewesen war, als um die vielen Male, die er, wie Dante, durch jenes gähnende Portal geschritten war, hinter dem Schmerz, Leiden und Tod lauerten. Im Lauf der Jahre hatte er den Verdacht geschöpft, daß ungeachtet der Größe des körperlichen Schmerzes das emotionale Leid, das ihn umgab, oft viel schlimmer war. Er schüttelte den Kopf, um sich von diesen Gedanken zu befreien, denn er wollte nicht schon mit solch düsteren Überlegungen beladen eintreten.
An der Anmeldung fragte Brunetti, wo er diesen Franco Rossi finde, der sich am Wochenende bei einem Sturz verletzt habe. Der Pförtner, ein Mann mit dunklem Bart, fragte zurück, ob er die Station wisse, auf die Signor Rossi gebracht worden sei. Brunetti hatte keine Ahnung, vermutete aber die Intensivstation. Der Pförtner griff zum Telefon, wählte, sagte etwas und rief dann eine neue Nummer an. Nachdem er wieder kurz gesprochen hatte, teilte er Brunetti mit, daß Signor Rossi sich weder auf der Intensivstation noch in der Notaufnahme befinde.
»Dann in der Neurologie?« mutmaßte Brunetti.
Mit der Gelassenheit langer Erfahrung wählte der Pförtner aus dem Gedächtnis eine weitere Nummer, allerdings wieder mit demselben Ergebnis.
»Wo könnte er dann sein?« fragte Brunetti.
»Sind Sie denn sicher, daß er zu uns gebracht wurde?« erkundigte sich der Pförtner.
»So stand es im Gazzettino.«
Hätte Brunetti nicht schon am Tonfall gehört, daß der Mann Venezianer war, dann hätte ihn der Blick verraten, der diese Aussage quittierte. Er fragte aber nur: »Er hat sich also bei einem Sturz verletzt?« Und als Brunetti nickte, meinte er: »Dann wollen wir's mal in der Orthopädie versuchen.« Wieder telefonierte er und nannte Rossis Namen. Bei der Antwort, die er bekam, sah er kurz zu Brunetti auf. Er hörte noch einen Moment zu, dann legte er die Hand auf die Sprechmuschel und fragte: »Sind Sie ein Angehöriger?«
»Nein.«
»Was dann? Ein Freund?«
Ohne zu zögern, ließ Brunetti sich darauf ein. »Ja.«
Der Pförtner sprach wieder ein paar Worte ins Telefon, hörte kurz zu und legte dann auf. Einen Moment ließ er den Blick noch auf dem Telefon ruhen, dann sah er Brunetti an. »Ich bedaure, es Ihnen sagen zu müssen, aber Ihr Freund ist heute morgen gestorben.«
Brunetti empfand den Schock und dann einen Anflug des plötzlichen Schmerzes, den er empfunden hätte, wenn wirklich ein Freund von ihm gestorben wäre. Aber er brachte nur »Orthopädie?« heraus.
Der Pförtner hob die Schultern ein wenig, wie um sich von allem zu distanzieren, was er gesagt oder weitergesagt hatte. »Man hat mir erklärt, daß er dorthin gebracht wurde, weil seine beiden Arme gebrochen waren.«
»Aber woran ist er gestorben?«
Der Pförtner antwortete nicht sofort, wie um dem Tod die gebührende Schweigeminute zukommen zu lassen. »Das hat die Schwester mir nicht gesagt. Aber vielleicht erfahren Sie mehr, wenn Sie selbst hingehen und mit ihnen reden. Kennen Sie den Weg?« Brunetti kannte ihn. Während er sich entfernte, sagte der Pförtner noch: »Es tut mir leid, Signore - das mit Ihrem Freund.«
Brunetti nickte dankend und ging durch die hohe gewölbte
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