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Brunetti 09 - Feine Freunde

Brunetti 09 - Feine Freunde

Titel: Brunetti 09 - Feine Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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du. Aber wenn du das Fenster dann schließt, fällt das Licht wieder im ursprünglichen Winkel hindurch, und du siehst, daß die Außenseite noch schmutzig ist oder du auf der Innenseite eine Stelle übersehen hast. Das heißt, du mußt es wieder öffnen und noch einmal putzen. Aber du kannst nie sicher sein, daß es wirklich sauber ist, bevor du es nicht erneut schließt oder dich so hinstellst, daß du es aus einem anderen Winkel siehst.«
    »Und der Spiegel?« fragte er.
    Sie sah lächelnd zu ihm auf. »Einen Spiegel siehst du nur von einer Seite. Da kommt kein Licht von hinten, und das heißt, wenn du ihn geputzt hast, ist er sauber. Keine optischen Täuschungen.« Sie blickte wieder auf ihre Erbsen hinunter.
    »Und?«
    Den Blick weiter gesenkt, vielleicht um ihre Enttäuschung über ihn zu verbergen, erklärte sie: »Und so ist deine Arbeit, oder so möchtest du sie gern haben. Du willst Spiegel putzen, alles schön zweidimensional und pflegeleicht. Aber jedesmal, wenn du dir eine Sache etwas genauer anguckst, erweist sie sich als Fenster: Sowie du die Perspektive wechselst und die Sache aus einem anderen Winkel betrachtest, verändert sich alles.«
    Brunetti ließ sich das lange durch den Kopf gehen, und um die Stimmung aufzuhellen, meinte er endlich: »So oder so muß ich den Dreck wegmachen.«
    »Das hast du gesagt, nicht ich«, versetzte Paola. Als Brunetti darauf nichts erwiderte, ließ sie die letzten Erbsen in die Schüssel fallen und stand auf. Sie ging an den Küchentresen und stellte die Schüssel ab. »Und das eine wie das andere«, sagte sie, »tust du sicher lieber mit vollem Magen.«
    Und mit wahrlich vollem Magen nahm er die Sache gleich in Angriff, kaum daß er nachmittags in die Questura kam. Den Anfang machte er, weil es zum Anfangen einfach nichts Besseres gab, bei Signorina Elettra.
    Sie begrüßte ihn lächelnd, heute in atemberaubend nautischer Aufmachung: marineblauer Rock und Seidenbluse mit breiter Passe. Fehlt nur noch die Matrosenmütze, dachte er unwillkürlich, und schon sah er die steife, zylindrische weiße Kopfbedeckung neben ihrem Computer auf dem Tisch liegen.
    »Volpato«, sagte er, bevor sie sich noch nach seinem Befinden erkundigen konnte. »Angelina und Massimo. Beide über sechzig.«
    Sie nahm ein Blatt Papier und begann zu schreiben.
    »Wohnhaft in Venedig?«
    »Ich glaube, ja.«
    »Wissen Sie ungefähr, wo?«
    »Leider nein«, antwortete er.
    »Das dürfte leicht genug herauszubekommen sein«, meinte sie und machte sich eine entsprechende Notiz. »Was noch?«
    »Am liebsten möchte ich alles über ihre Finanzen wissen: Bankkonten, eventuelle Anlagen, Grundbesitz, was immer Sie finden.« Er wartete kurz, während sie mitschrieb, und fuhr dann fort: »Und erkundigen Sie sich, ob gegen sie schon etwas vorliegt.«
    »Telefonrechnungen?« fragte sie.
    »Nein, noch nicht. Erst mal die Geldangelegenheiten.«
    »Bis wann?«
    Er sah sie lächelnd von oben an. »Bis wann will ich denn immer alles haben?«
    Sie schob ihre Manschette zurück und sah auf die schwere Taucheruhr an ihrem linken Handgelenk. »Die Auskünfte aus der Stadtverwaltung dürfte ich noch heute nachmittag bekommen.«
    »Die Banken haben schon zu, das hat also Zeit bis morgen«, sagte er.
    Sie sah lächelnd zu ihm auf. »Die Archive machen nie zu«, sagte sie. »In ein paar Stunden müßte ich alles haben.«
    Sie zog eine Schublade an ihrem Schreibtisch auf und nahm einen Stapel Papiere heraus. »Das hier habe ich... «, begann sie, doch dann unterbrach sie sich plötzlich und blickte nach links, zur Tür ihres Vorzimmers.
    Brunetti ahnte die Bewegung mehr, als daß er sie sah, und drehte sich um. Vice-Questore Patta kam soeben vom Mittagessen zurück.
    »Signorina Elettra«, begann er, ohne von Brunetti, der vor dem Schreibtisch stand, überhaupt Notiz zu nehmen.
    »Ja, Dottore?« fragte sie.
    »Kommen Sie bitte zum Diktat zu mir herein.«
    »Gewiß, Dottore.« Sie legte die Papiere, die sie eben aus der Schublade genommen hatte, mitten auf ihren Schreibtisch und tippte mit dem linken Zeigefinger darauf, was Patta aber nicht sehen konnte, weil Brunetti es mit seinem Körper verdeckte. Dann zog sie die mittlere Schublade auf und entnahm ihr einen altmodischen Stenogrammblock. Gab es immer noch Leute, die Briefe diktierten, und saßen Sekretärinnen noch immer mit übergeschlagenen Beinen da wie Joan Crawford und kritzelten eilige Schleifchen und Kreuzchen, die Wörter darstellten? Während Brunetti darüber noch

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