Brunetti 09 - Feine Freunde
Arme wieder um diese erfreuliche Figur zu legen, die ihm einmal so vertraut gewesen war. Dabei fiel ihm ein langer Spaziergang ein, den sie in der Nacht des Redentore-Festes am Lido gemacht hatten. Da mußte er siebzehn gewesen sein. Das Feuerwerk war längst beendet, da waren sie noch Hand in Hand am Strand spaziert, hatten auf das Morgengrauen gewartet und nicht gewollt, daß die Nacht zu Ende ging.
Aber die Nacht war zu Ende gegangen, wie so vieles andere zwischen ihnen, und nun hatte sie ihren Mario und er seine Paola. Er ging bei Biancat vorbei, um ein Dutzend Iris für Paola zu kaufen, und war glücklich, das tun zu können, glücklich bei dem Gedanken, daß sie oben auf ihn wartete.
Als er eintrat, saß sie am Küchentisch und pulte Erbsen.
»Risi e bisi«, sagte er zur Begrüßung, als er die Erbsen sah. Er streckte ihr die Iris entgegen.
Sie lächelte beim Anblick der Blumen. »Risotto ist doch das Beste, was man aus jungen Erbsen machen kann, findest du nicht?« Sie hielt ihm die Wange zum Kuß hin.
»Es sei denn«, antwortete er ohne bestimmten Grund, nachdem der Kuß gegeben war, »du bist eine Prinzessin und brauchst sie unter der Matratze.«
»Lieber Risotto«, erwiderte sie. »Stellst du die Blumen bitte in eine Vase, während ich das hier fertigmache?« Sie zeigte mit der einen Hand auf die volle Tüte, die neben ihr auf dem Tisch stand.
Er rückte einen Stuhl vor die Schrankwand, nahm ein Stück Zeitung vom Tisch, breitete es über die Sitzfläche und stieg auf den Stuhl, um eine der hohen Vasen ganz oben vom Schrank zu nehmen.
»Ich glaube, die blaue«, sagte sie, indem sie zu ihm aufsah.
Er kam herunter, stellte den Stuhl wieder an seinen Platz und trug die Vase zur Spüle. »Wieviel Wasser?« fragte er.
»Ungefähr halb voll. Was möchtest du danach?«
»Was haben wir denn?«
»Ich habe noch dieses Roastbeef vom Sonntag. Wenn du mir das in hauchdünne Scheiben schneiden könntest, hätten wir das und dazu vielleicht noch einen Salat.«
»Ißt Chiara denn diese Woche Fleisch?« Aufgestachelt durch einen Artikel über die Behandlung von Kälbern hatte Chiara vor einer Woche erklärt, daß sie von nun an bis ans Ende ihrer Tage das Leben einer Vegetarierin führen wolle.
»Du hast sie am Sonntag auch schon von dem Roastbeef essen sehen, oder nicht?« fragte Paola.
»Doch, natürlich«, antwortete er. Dann widmete er sich den Blumen und riß das Papier davon ab.
»Stimmt etwas nicht?« erkundigte sie sich.
»Ach, das Übliche«, meinte er, während er die Vase unter den Wasserhahn hielt und das kalte Wasser aufdrehte. »Wir leben in einer Welt nach dem Sündenfall.«
Sie wandte sich wieder ihren Erbsen zu. »Das dürfte jedem bekannt sein, der einen unserer beiden Berufe ausübt«, antwortete sie.
»Bei dir auch?« fragte er neugierig. Nach zwanzig Jahren Polizeidienst brauchte ihm niemand mehr zu sagen, daß die Menschheit der Gnade verlustig gegangen war.
»Du hast es mit dem moralischen Verfall zu tun, ich mit dem geistigen.« Sie sprach in diesem selbstironisch erhabenen Ton, den sie oft benutzte, wenn sie sich dabei ertappte, daß sie ihre Arbeit ernst nahm. »Aber was ist dir speziell heute über die Leber gekrochen?« fragte sie.
»Ich habe mich heute mittag mit Franca getroffen.«
»Wie geht es ihr?«
»Gut. Ihr Sohn wächst heran, und ich glaube, es macht ihr keinen großen Spaß, in einer Bank zu arbeiten.«
»Wer könnte ihr das verdenken?« meinte Paola, aber es war nicht als Frage gemeint. Gleich kam sie auch auf seine eigentliche Aussage zurück, die noch der Erklärung bedurfte, und fragte: »Wieso läßt ein Wiedersehen mit Franca dich an unsere gefallene Welt denken? Normalerweise hat es genau die gegenteilige Wirkung - bei uns allen.«
Brunetti ließ sich, während er langsam, eine nach der anderen, die Blumen in die Vase steckte, Paolas Kommentar ein paarmal vor- und rückwärts durch den Kopf gehen, um nach einer versteckten, vielleicht gehässigen Bedeutung zu suchen, doch er fand keine. Sie nahm einfach zur Kenntnis, wie sehr er sich freute, wenn er diese liebe alte Freundin wiedertraf, und teilte sein Vergnügen an ihrer Gesellschaft. Als ihm das klar wurde, schnürte sich ihm für einen Augenblick das Herz zusammen, und er fühlte die Röte heiß in seine Wangen steigen. Eine der Blumen fiel ihm aus der Hand. Er nahm sie wieder, steckte sie zu den anderen und stellte die Vase vorsichtig auf den Tresen, aber schön weit weg von der Kante.
»Sie hat mir
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