Brunetti 09 - Feine Freunde
nachgrübelte, wurde ihm klar, daß er selbst es bisher immer Signorina Elettra überlassen hatte, wie sie einen Brief formulierte, weil er ganz darauf vertraute, daß sie schon die richtigen Worte und Nuancen wählte, um schlichte Wahrheiten zu verschleiern oder ein Ersuchen einzuleiten, das jenseits der engen Grenzen polizeilicher Macht lag.
Patta ging an ihm vorbei und öffnete die Tür zu seinem Dienstzimmer. Dabei hatte Brunetti das deutliche Gefühl, daß er selbst sich wie eines dieser scheuen Waldtiere verhielt, ein Lemur vielleicht, der beim leisesten Geräusch erstarrte, sich kraft seiner Bewegungslosigkeit für unsichtbar erklärte und somit vor pirschenden Räubern sicher zu sein glaubte. Ehe er noch etwas zu Signorina Elettra sagen konnte, war sie schon aufgestanden und folgte Patta, nicht ohne einen bedeutungsvollen Blick zu dem Stapel Papiere auf ihrem Schreibtisch. Als sie die Tür hinter sich zumachte, konnte Brunetti in ihrer Haltung keine Spur von Scheu entdecken.
Er griff weit über den Schreibtisch hinüber, nahm die Papiere an sich und schrieb ihr noch rasch ein Zettelchen mit der Bitte, für ihn herauszufinden, wem das Haus gehörte, vor dem man Rossi gefunden hatte.
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A uf dem Weg zu seinem Zimmer warf Brunetti einen Blick in die Unterlagen, die er von Signorina Elettras Schreibtisch genommen hatte: ein langer Computerausdruck mit sämtlichen Telefonnummern, die von Rossis privatem und dienstlichem Anschluß aus angerufen worden waren. Am Rand hatte sie vermerkt, daß Rossis Name nicht als Kunde bei einer der Mobiltelefongesellschaften auftauchte, woraus man schließen konnte, daß der Apparat, den er benutzt hatte, über das Ufficio Catasto lief. Vier der Anrufe aus seinem Büro waren an dieselbe Nummer mit der Vorwahl von Ferrara gegangen, hinter der Brunetti die der Kanzlei Gavini und Cappelli vermutete. An seinem Schreibtisch angekommen, sah er sofort nach und stellte fest, daß sein Gedächtnis ihn nicht getrogen hatte. Die Anrufe waren alle in einem Zeitraum von weniger als zwei Wochen erfolgt, der letzte am Tag vor Cappellis Ermordung. Danach nichts mehr.
Brunetti saß lange da und machte sich Gedanken über die Beziehung zwischen den beiden Toten, wobei er merkte, daß sie für ihn jetzt schon zwei Ermordete waren.
Während er auf Signorina Elettra wartete, gingen ihm so einige Fragen durch den Kopf: wo sich Rossis Büro im Ufficio Catasto befand und wie ungestört er dort sein konnte; wie es kam, daß Magistrato Righetto damit beauftragt war, den Mord an Cappelli zu untersuchen; wie wahrscheinlich es war, daß ein Berufskiller sein Opfer mit jemand anderem verwechselte, und warum danach kein Versuch unternommen worden war, den Richtigen zu treffen. Über dies und anderes dachte Brunetti nach, dann wollte er sich wieder seine Liste derer vornehmen, von denen er sich Informationen erhoffte, stockte aber, als ihm klar wurde, daß er gar nicht so genau wußte, was für Informationen er eigentlich suchte. Auf jeden Fall mußte er etwas über die Volpatos erfahren, aber ebenso dringend sollte er besser über die Finanzbewegungen in der Stadt und die heimlichen Kanäle Bescheid wissen, durch die das Geld aus den Taschen der einen in die der anderen floß.
Wie die meisten Venezianer wußte Brunetti, daß alle Käufe und Verkäufe von Grundeigentum im Ufficio Catasto dokumentiert wurden. Darüber hinaus besaß er nur keine rechte Vorstellung davon, was die Leute dort taten. Er erinnerte sich, wie begeistert Rossi davon gesprochen hatte, daß mehrere Dienststellen ihre Akten zusammenlegen sollten, um Zeit zu sparen und den Zugriff auf Informationen zu erleichtern. Jetzt wünschte er sich, er hätte sich die Mühe gemacht, Rossi dazu mehr Fragen zu stellen.
Er nahm das Telefonbuch aus der untersten Schublade, öffnete es und suchte eine Nummer unter B. Als er sie gefunden hatte, wählte er und wartete, bis eine weibliche Stimme sich meldete: »Bucintoro, Agenzia Immobiliare, buon giorno.«
»Ciao, Stefania«, sagte er.
»Was ist denn los, Guido?« fragte sie zu seiner Verblüffung sofort, und er mußte sich seinerseits fragen, was sie aus seiner Stimme wohl herausgehört hatte.
»Ich muß etwas wissen«, antwortete er ebenso direkt.
»Aus welchem Grunde würdest du mich auch sonst anrufen?« fragte sie, diesmal ohne den koketten Unterton, den sie sonst ihm gegenüber anschlug.
Er zog es vor, weder auf die stumme Kritik in ihrem Ton noch auf die offene Kritik in ihrer Frage
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