Brunetti 09 - Feine Freunde
spontan nichts ein. Sonst kein Klatsch mehr. Aber ich finde, du solltest dort anrufen und mal fragen, was das mit deiner Wohnung soll. Nach allem, was ich gehört habe, war das mit der Zusammenführung aller Unterlagen sowieso nur eine Rauchbombe. Daraus wird nie etwas.«
»Was soll mit der Rauchbombe vernebelt werden?«
»Wie mir zu Ohren gekommen ist, hat irgend jemand in der Stadtverwaltung gefunden, daß derartig viele Restaurierungsarbeiten, die in den letzten Jahren gemacht wurden, illegal waren - ich meine, daß ein großer Teil der tatsächlich geleisteten Arbeit so sehr von den jeweils eingereichten Plänen abwich -, daß man die Baugenehmigungen und die dazugehörigen Anträge besser verschwinden lassen sollte. Dann würde niemand mehr die Pläne mit den tatsächlichen Arbeiten vergleichen können. Also hat man die Idee mit der Zusammenlegung der Akten geboren.«
»Ich weiß nicht, ob ich da noch ganz mitkomme, Stefania.«
»Das ist doch nun ganz einfach, Guido«, schalt sie ihn. »Wenn all diese Papiere von einem Amt ins andere geschafft und dabei von einem Ende der Stadt zum anderen transportiert werden müssen, ist es nicht zu vermeiden, daß einige davon verlorengehen.«
Brunetti fand die Idee so raffiniert wie praktisch. Er merkte sie sich, um sie vielleicht einmal als Erklärung für das Nichtvorhandensein der Pläne für seine Wohnung anzubieten, sollte er je dazu aufgefordert werden. »Und«, sprach er an ihrer Stelle weiter, »sollte es jemals Fragen zu einer eingezogenen Wand oder einem ausgebrochenen Fenster geben, kann der Wohnungseigentümer kurzerhand seine eigenen Pläne vorlegen, die.«
Stefania fiel ihm ins Wort: »Die natürlich haargenau mit der tatsächlich vorhandenen Wohnung übereinstimmen.«
»Und in Abwesenheit der amtlichen Pläne, die bei der Neuorganisation der Archive praktischerweise verlorengingen«, erklärte Brunetti unter zustimmenden Gemurmel von Stefania, die sich freute, daß er endlich zu begreifen anfing, »könnte kein städtischer Kontrolleur oder künftiger Käufer mehr mit Bestimmtheit feststellen, daß die tatsächlich erfolgten Umbauten von denen abweichen, die auf den fehlenden Plänen beantragt und bewilligt wurden.« Dies gesagt, trat er gewissermaßen stumm ins Glied zurück, um zu bewundern, was er da eben entdeckt hatte. Seit seiner Kindheit hatte er oft Leute in Venedig sagen hören: »Tutto crolla, ma nulla, crolla« (Alles stürzt ein, aber nichts bricht zusammen). Und das schien ganz gewiß zu stimmen: Mehr als tausend Jahre waren vergangen, seit die ersten Bauwerke aus dem Sumpfland wuchsen, also mußten viele einsturzgefährdet sein, doch nie stürzte eines ein. Sie neigten sich vor- und rückwärts, wölbten und krümmten sich, aber er konnte sich nicht entsinnen, je gehört zu haben, daß ein Gebäude tatsächlich eingestürzt war. Natürlich hatte er schon verlassene Häuser mit durchhängenden Dächern gesehen, mit Brettern zugenagelte Häuser, in denen Wände zerborsten waren, nie hatte er jedoch von einem Haus gehört, das über seinen Bewohnern zusammengestürzt war.
»Wer hatte denn diese Idee?«
»Keine Ahnung«, sagte Stefania. »Solche Dinge erfährt man nie.«
»Wissen die Leute in den jeweiligen Ämtern davon?«
Statt darauf direkt zu antworten, sagte sie: »Denk mal nach, Guido. Jemand muß dafür sorgen, daß bestimmte Unterlagen verschwinden, daß Akten verlorengehen, denn du kannst dich darauf verlassen, daß viele andere einfach aufgrund der üblichen Schlamperei verschwinden. Aber irgend jemand muß dafür sorgen, daß es ganz bestimmte Unterlagen nicht mehr gibt.«
»Wer würde das wollen?« fragte er.
»Am ehesten die Besitzer von Häusern, an denen illegale Arbeiten vorgenommen wurden, oder es könnten die sein, die das alles hätten überwachen sollen und sich die Mühe gespart haben.« Sie schwieg kurz und fuhr dann fort: »Oder die zwar geprüft haben, sich aber - überreden ließen«, sagte sie mit ironischem Unterton, »das, was sie sahen, in Ordnung zu finden, egal was in den Plänen stand.«
»Wer wäre dafür verantwortlich?«
»Die Bauausschüsse.«
»Wie viele gibt es davon?«
»Einen für jeden Stadtbezirk. Also sechs.«
Brunetti stellte sich das Ausmaß eines solchen Unterfangens vor, die vielen Leute, die dabei mitmachen müßten. »Wäre es nicht leichter«, fragte er, »man würde die Arbeiten einfach machen lassen und dann die Strafe bezahlen, wenn herauskommt, daß etwas nicht mit den
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