Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
herausgehört, woher der Sprecher stammte, und wenn das nicht irgendwo auf dem Festland war, hätte sie wahrscheinlich sogar sagen können, in welchem sestiere der Mann aufgewachsen war. Brunetti konnte bestenfalls erkennen, daß er wahrscheinlich von einer der Inseln kam, vielleicht von Pellestrina. Er hörte das Gespräch ein weiteres Mal ab, und jetzt vernahm er die Überraschung in Targhettas Stimme, als der Name Spadini fiel. Targhetta hatte sie nicht verbergen können, und von diesem Augenblick an hatte er angefangen, den Anrufer abzuwimmeln - anders konnte man das, was er tat, nicht nennen. Je mehr ihm dieser mitzuteilen versuchte, um so beharrlicher versuchte Targhetta ihm weiszumachen, daß er seinen Namen nennen müsse - ein Ansinnen, das mit Sicherheit jeden Zeugen abschreckte, besonders wenn er es mit der Guardia di Finanza zu tun hatte.
Brunetti sah, wie klug es von der Guardia di Finanza war, die Gespräche aufzuzeichnen. So also kontrollierte man die Kontrolleure. Targhetta, der nicht gewußt zu haben schien, daß die Gespräche registriert wurden, hatte geglaubt, er brauche den Anruf nur nicht zu protokollieren, und schon sei jede Spur davon getilgt. Als er dann mit einer Aufzeichnung des fehlenden Gesprächs konfrontiert wurde - falls das so zugegangen war -, glaubte er sich damit herausreden zu können, das Protokoll sei irgendwo verlorengegangen. Offenbar hatte man ihm das jedoch nicht abgenommen, denn wie sonst wäre sein plötzlicher Weggang nach zehn Dienstjahren zu erklären?
Aber konnte einer, der seit zehn Jahren bei der Finanza arbeitete, so dumm sein und nicht wissen, daß die Gespräche aufgezeichnet wurden? Immerhin wußte Brunetti aus langer Erfahrung, daß solche Aufzeichnungen, selbst wenn es sie gab, nicht unbedingt noch einmal abgehört wurden. Targhetta konnte darauf gehofft haben, daß seine Unterlassung unbemerkt blieb. Oder er war, wie seine Stimme ja verriet, derart überrascht gewesen, daß er instinktiv reagiert und den Anrufer abgewimmelt hatte, ohne sich über die Folgen seines Tuns Gedanken zu machen.
Blieb nur noch ein Teilchen in das Puzzle einzufügen -oder - so dachte Brunetti, als er das Blatt hervorzog, auf dem er die Verbindungslinien zwischen den beteiligten Personen gezogen hatte - nur noch eine Linie zu ziehen, nämlich die zwischen Targhetta und Spadini. Das ging leicht. In der Geometrie hatte er vor langer Zeit gelernt, daß die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten die Gerade war. Nur war er damit seinem Ziel, die Verbindung zu verstehen, noch keinen Schritt näher gekommen; dafür würde er zuvor das Schweigen der Pellestrinotti brechen müssen.
23
S owie Brunetti entschieden hatte, daß er unbedingt mit Targhetta sprechen müsse, überlegte er noch eine Weile hin und her, ob er Paola anrufen und ihr sagen solle, daß er nach Pellestrina fuhr. Er wollte seine Motive nicht gern von ihr in Frage stellen lassen - und sie auch selbst nicht so genau unter die Lupe nehmen. Besser also, sich von Bonsuan hinausfahren zu lassen und es hinter sich zu bringen.
Vianello wollte er auch nicht mitnehmen, und über sein Motiv für diese Entscheidung dachte er erst gar nicht nach. Er spulte das Band zurück, steckte es in die Tasche und machte einen Abstecher in den Bereitschaftsraum, um einen batteriebetriebenen kleinen Recorder auszuleihen, nur für den unwahrscheinlichen Fall, daß er auf Pellestrina jemanden fand, der bereit war, sich das Band anzuhören, um möglicherweise die Stimme des Anrufers zu identifizieren.
Der Tag war kühler geworden, und im Norden erschienen dunkle Wolken, die ihm Grund zu der Hoffnung gaben, daß endlich Regen nahte. Auf der Fahrt nach Pellestrina blieb er unter Deck und vertrieb sich die Zeit mit der gestrigen Zeitung und einer Motorboot-Zeitschrift, die einer der Bootsführer liegengelassen hatte. Bei Pellestrina angekommen, wußte er so einiges über 55-PS-Motoren, aber noch immer nichts Genaueres über Carlo Targhetta oder Vittorio Spadini.
Als sie sich dem Anleger näherten, ging er zu Bonsuan in die Kabine hinauf.
Bonsuan warf einen Blick zurück zur Stadt und meinte: »Gefällt mir nicht.«
»Was?« fragte Brunetti. »Hier draußen zu sein?«
»Nein. Wie der Tag sich anfühlt.«
»Was soll denn das nun wieder heißen?« fragte Brunetti, der von Seefahrern und ihren Sprüchen plötzlich die Nase voll hatte.
»Die Luft. Wie die sich anfühlt. Dieser Wind. Riecht nach Bora.«
In der Zeitung war von schönem Wetter und
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