Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
lieber nicht gesagt, hielt es dann aber für besser, ihn einzuweihen, und sei es nur, um Marco diesen Ton abzugewöhnen. »Weil ich in die Questura gehen und nachsehen werde, was ich über ihn in Erfahrung bringen kann. Und wenn er sich jemals was hat zuschulden kommen lassen oder wenn gar ein Verfahren gegen ihn anhängig ist, dann werde ich meine Stellung gefährden, indem ich Amtsmißbrauch begehe und ihm so lange einheize, bis er von einer Anzeige gegen dich absieht.« Seine Stimme war immer lauter geworden, und Brunettis Zorn auf Marco glich väterlichem Unmut. »Beantwortet das deine Frage? Und jetzt sag mir endlich den Namen!«
»Piero Sbrissa«, stammelte Marco. »Sein Atelier ist in San Marco.«
»Danke!« Brunetti schlüpfte an Marco vorbei ins Lokal zurück und rief dem Freund über die Schulter zu: »Ich ruf dich an. Und du sprich mit niemandem!«
In der Questura saß Vianello eine geschlagene Stunde am Computer, Brunetti doppelt so lange am Telefon, und danach hatten sie genügend Hinweise gesammelt, um Architetto Sbrissa hoffentlich davon überzeugen zu können, daß es klüger sei, von einer Anzeige gegen seinen Kunden Marco Erizzo abzusehen. Der Architekt hatte offenbar mehr als einmal unerklärlich lange Verzögerungen bei der Erteilung von Baugenehmigungen geltend gemacht. Das versicherten Brunetti jedenfalls drei seiner früheren Kunden, die sich auf Sbrissas Vorschlag eingelassen und eine alles andere als legale - wenngleich sehr verbreitete - Methode zur Lösung ihrer Probleme gewählt hatten. Allerdings war keiner der Männer bereit, die Summen zu nennen, die dabei geflossen waren. Vianello wiederum fand heraus, daß Sbrissa im Vorjahr nur sechzehn Millionen Lire Honorar von Marco Erizzo versteuert hatte, obwohl Marcos Sekretärin dem Inspektor am Telefon versicherte, ihr lägen quittierte Belege des Architekten für mehr als vierzig Millionen vor.
Von einem Freund auf der Carabinieri-Wache in San Zaccaria erfuhr Brunetti, daß Sbrissa am selben Vormittag dort angerufen habe, um einen tätlichen Angriff zu melden. Nach einem Besuch beim Arzt wolle er persönlich vorbeikommen, um offiziell Anzeige zu erstatten. Brunetti brauchte nur ein paar Minuten, um seinem Freund die Ungereimtheiten in Sbrissas Steuererklärung zu erläutern und anzuregen, daß man den Architetto vielleicht dazu bringen könne, sich das mit der Anzeige noch einmal zu überlegen. Der Carabiniere versprach, dies mit dem Architekten persönlich zu klären, meinte aber, er habe keinen Zweifel, daß Signor Sbrissa sich einsichtig zeigen werde.
Als Brunetti schließlich Marco anrief und ihm sagte, die Sache sei so gut wie geregelt, konnte der es anfangs gar nicht glauben und wollte unbedingt wissen, wie Brunetti das angestellt habe. Da Brunetti jede Auskunft darüber verweigerte, verstummte Marco fürs erste, jammerte aber im nächsten Moment, daß er nun disonorato sei, weil er sich von der Polizei habe rauspauken lassen.
Brunetti bezwang sich nur mit Mühe, aber er blieb ruhig und sagte bloß: »Du bist mein Freund, Marco, und damit basta.«
»Aber du mußt mir eine Chance geben, mich bei dir zu revanchieren.«
»Gut, das kannst du«, versetzte Brunetti bereitwillig.
»Ja womit denn? Alles, was du willst!«
»Wenn wir das nächste Mal bei ihr essen, bitte Signora Maria, Paola das Rezept für ihre Muschelfüllung zu geben.«
Es entstand eine lange Pause, doch endlich sagte Marco ebenso ernst wie bekümmert: »Das ist Erpressung. Außerdem würde sie ihr Rezept niemals verraten.«
»Zu schade, daß nicht sie es war, die Sbrissa niedergeschlagen hat.«
»Selbst dann würdest du das Rezept nicht kriegen«, sagte Marco resigniert. »Bevor sie das rausrückt, ginge sie lieber ins Gefängnis.«
»Das hatte ich befürchtet«, seufzte Brunetti, versprach, sich etwas anderes auszudenken, womit Marco seine Schuld begleichen könne, und legte auf.
So erhebend dieses kleine Erfolgserlebnis für ihn persönlich auch war, bei der Lösung des rätselhaften Dreiecks Leonardo, Guzzardi, Filipetto brachte es Brunetti kaum voran. Als er zu Signorina Elettra hinunterging, hatte sie ihr Büro bereits verlassen. Was ihn nicht weiter verwunderte, denn es war fast fünf, und sie beklagte sich oft über die Langeweile in den letzten beiden Dienststunden. Brunetti wollte schon wieder gehen, als sich die Tür zu Vice-Questore Pattas Büro öffnete und der Chef persönlich heraustrat. Er trug seinen taubengrauen Mantel über dem Arm und in der
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