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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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wollte dich auch anrufen, Guido, aber hier ist zur Zeit der Teufel los. Kein Mensch scheint zu wissen, wer eigentlich an der Regierung ist.«
    Brunetti fragte sich, wieso ein erfahrener Reporter diesen Dauerzustand noch eines Kommentars für wert befand. Aber er sagte nur: »Ich dachte, ich melde mich mal. Und falle dir auf die Nerven.«
    »Nicht nötig«, lachte Avisani. »Ich habe inzwischen die Akten gefilzt. Aber das einzige, was ich herausfinden konnte - abgesehen von dem, was ich dir schon letztens erzählte -, ist, daß sowohl Filippi als auch Toscano riesige Aktienpakete von Edilan-Forma halten.«
    »Was verstehst du unter ›riesig‹?«
    »Falls du dich schon an den Eurokurs gewöhnt hast: vielleicht zehn Millionen - für jeden.«
    Brunetti summte leise vor sich hin, dann fragte er: »Hast du eine Ahnung, wie sie da dran gekommen sind?«
    »Toscanos Depot gehört strenggenommen seiner Frau. Zumindest ist es auf ihren Namen eingetragen.«
    »Du hast mir erzählt, Filippi sei mit der Cousine des Firmenchefs verheiratet.«
    »Stimmt. Aber das Depot läuft auf seinen Namen. Anscheinend wurde er mit Aktien entlohnt, während er im Vorstand saß.«
    Lange herrschte Schweigen in der Leitung, bis Brunetti endlich sagte: »Also haben beide ein Interesse daran, daß die Aktien nicht fallen.«
    »Du sagst es«, bestätigte Avisani.
    »Aber eine parlamentarische Untersuchung hätte genau das zur Folge haben können.«
    Diesmal war es der Journalist, der lautmalerisch antwortete, was freilich bei ihm mehr nach einem Grunzen als nach einem Summen klang.
    »Und hast du die Aktien überprüft?« fragte Brunetti.
    »Sicher wie ein Fels in der Brandung, einer, der stetig wächst und wächst und regelmäßig Dividenden abwirft.«
    Wieder war es still in der Leitung, doch jeder glaubte zu hören, wie im Kopf des anderen Zahlen und Tabellen rumorten. Endlich sagte Avisani erschöpft: »Ich muß Schluß machen, Guido. Gut möglich, daß wir morgen früh aufwachen und keine Regierung mehr haben.«
    »Ein Jammer, daß Thomas von Aquin nicht mehr unter uns weilt«, bemerkte Brunetti abgeklärt.
    »Was?« fragte Avisani verdutzt und korrigierte sich mit einem nachgeschobenen: »Warum?«
    »Weil ihm dieser Tag sonst als weiterer Gottesbeweis hätte dienen können.«
    Ein letzter gedämpfter Grunzlaut, dann hatte Avisani aufgelegt.
    Aber wie, dachte Brunetti, wie sollte man es anstellen, in die Welt der Kadetten vorzudringen? Er hatte lange die Ansicht vertreten, daß die Mafia sich nicht zufällig im Herzen des Vatikans entwickelt habe, da beide von ihren Anhängern die gleiche unerschütterliche Treue forderten und Verrat mit der Höchststrafe ahndeten - die einen mit dem Tode, die anderen mit ewiger Verdammnis. Der dritte Bundesgenosse in dieser Trinität der Befehlshörigen war zweifellos das Militär: Wer von Berufs wegen seinen Feinden nach dem Leben trachtete, der scheute offenbar auch in den eigenen Rängen nicht vor der Vollstreckung der Todesstrafe zurück.
    Noch lange saß Brunetti da und betrachtete abwechselnd seine Wand und die Fassade von San Lorenzo, ohne daß er einen Weg gefunden hätte, wie der Elitecode, der in San Martino regierte, zu knacken sei. Endlich griff er zum Telefon und rief Pucetti an. Als der junge Polizist sich meldete, fragte er: »Wie alt ist Filippi?«
    »Achtzehn, Signore.«
    »Gut.«
    »Wieso?«
    »Weil wir ihn dann allein verhören können.«
    »Wird er keinen Anwalt verlangen?«
    »Nicht, wenn er sich uns überlegen wähnt.«
    »Und wie wollen Sie ihm das Gefühl geben?«
    »Indem ich Alvise und Riverre auf die Giudecca schicke, um ihn abzuholen.«
    Brunetti war sehr zufrieden, als Pucetti das weder mit einem Lachen noch verbal kommentierte, und wertete seine Diskretion als Beweis für Pucettis Intelligenz und seine Nächstenliebe.
    Als der Commissario eine Stunde später nach unten ins Verhörzimmer kam, saß Paolo Filippi am Kopfende des langgestreckten Tisches, den Blick zur Tür gerichtet. Der junge Mann hielt sich sehr gerade, den Rücken in mindestens zehn Zentimeter Abstand zur Stuhllehne. Die Hände hatte er vor sich auf dem Tisch gefaltet wie ein General, der seinen Stab einberufen hat und ungeduldig auf dessen Erscheinen wartet. Er war in Uniform und hatte die Mütze mit den sauber gefalteten Handschuhen obenauf rechts neben sich liegen. Er blickte zwar hoch, als Brunetti und Vianello eintraten, würdigte die beiden aber keines Wortes. Brunetti, der in ihm auf Anhieb denjenigen

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