Brunetti 14 - Blutige Steine
zugetragen hatte: Zwei Männer waren, offenbar ohne sonderlich Aufsehen zu erregen, aus der Dunkelheit aufgetaucht und wieder dorthin verschwunden, nachdem sie mindestens fünf Schüsse auf den jungen Afrikaner abgefeuert hatten. Das war kein Mord, sondern eine Hinrichtung, und die Täter hatten sich ihr Opfer gezielt ausgesucht. »Der arme Kerl hatte nicht die geringste Chance«, schloß Brunetti.
»Aber wer tut so etwas?« Paola schüttelte den Kopf. »Und warum ausgerechnet ein vucumprà?«
Genau die Fragen, die Brunetti schon auf dem Heimweg geplagt hatten. »Vermutlich weil er in irgend etwas verwickelt war - entweder hier bei uns oder früher in seiner Heimat.«
»Das hilft uns nicht viel weiter, oder?« fragte Paola - eine Feststellung, keine Kritik.
»Nein, aber es ist immerhin ein Anhaltspunkt für unsere Ermittlungen.«
Paola, die immer aufblühte, wenn Logik gefragt war, schlug vor: »Am besten überprüfst du erst einmal alles, was du von ihm weißt. Als da wäre?«
»Rein gar nichts«, erwiderte Brunetti.
»Stimmt doch nicht.«
»Ach nein?«
»Du weißt, daß er Schwarzafrikaner war, und du weißt, daß er als vucumprà gearbeitet hat, oder wie immer man jetzt dazu sagen soll.«
»Venditore ambulante oder extracomunitario«, soufflierte Brunetti.
»Das ist ungefähr so sinnvoll wie operatore ecologico«, entgegnete sie.
»Bitte was?«
»Müllmann«, übersetzte Paola, stand auf und ging aus dem Zimmer. Als sie mit einer Flasche Grappa und zwei kleinen Gläsern zurückkam, meinte sie: »Also machen wir es kurz und bleiben ohne langes Kopfzerbrechen bei vucumprà, ja?«
Brunetti bedankte sich mit einem Nicken für den Grappa, den Paola ihm einschenkte, nahm einen Schluck und fragte: »Was wissen wir noch, deiner Meinung nach?«
»Daß keiner seiner Kollegen geblieben ist, um ihm zu helfen oder die Polizei zu unterstützen.«
»Wahrscheinlich haben sie gewußt, daß er tot war, als sie ihn fallen sahen.«
»Ist denn das so ohne weiteres zu erkennen?«
»Ich denke schon, ja.«
»Und dann hast du eben gesagt, es war eine Hinrichtung«, fuhr Paola fort. »Also keine Affekthandlung, ausgelöst durch einen Kampf oder Streit, sondern irgendwer wollte, daß dieser Mann stirbt. Und entweder hat er jemanden beauftragt, ihn zu töten, oder er hat es selbst getan.«
»Ich tippe auf ersteres«, sagte Brunetti.
»Und wieso?«
»Es sah ganz nach einem Profijob aus. Die Kerle kamen aus dem Nichts, streckten ihn nieder und verschwanden spurlos.«
»Und was sagt dir das über die Täter?«
»Daß sie sich in der Stadt auskennen müssen.«
Paola sah ihn fragend an, und Brunetti ergänzte: »Gut genug, um einen Fluchtweg im Kopf zu haben. Und zu wissen, wo sie ihrem Opfer auflauern konnten.«
»Heißt das, es sind Venezianer?«
Brunetti schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie von venezianischen Auftragsmördern gehört.«
Paola überlegte einen Moment. »Es würde nicht allzu lange dauern, um das, was sie wissen mußten, in Erfahrung zu bringen. Einige der Afrikaner sind fast immer am Santo Stefano; die Killer hätten also nur ein, zwei Tage durch die Stadt zu streifen brauchen und wären unweigerlich auf sie gestoßen. Oder sie hätten Nachforschungen angestellt.« Paola schloß die Augen und rief sich den Platz und seine Umgebung ins Gedächtnis. »Fluchtmöglichkeiten gibt's dort genug. Entweder über den Rialto oder in Richtung San Marco. Aber sie hätten auch über die Accademia-Brücke entkommen können.«
»Oder«, fiel Brunetti ein, »sie sind geradeaus weitergelaufen zum Campo San Vidal und dann im Bogen über San Samuele zurück.«
»Wie viele Vaporetto-Stationen hatten sie zur Auswahl?« fragte Paola.
»Drei. Vier. Jeweils in beide Richtungen.«
»Welchen Weg würdest du wählen?« forschte sie.
»Ich weiß nicht. Aber wenn ich die Stadt verlassen wollte, würde ich mich wahrscheinlich Richtung San Marco halten und weiter über La Fenice zum Rialto.«
»Hat denn niemand die Täter gesehen?«
»Doch, eine amerikanische Touristin. Sie hat mir einen der Männer beschrieben: etwa mein Alter und meine Größe, bekleidet mit Mantel, Schal und Hut.«
»Paßt auf die halbe Stadt«, sagte Paola. »Sonst noch was?«
»Na ja, sie und ihr Mann waren mit einer Reisegruppe dort; möglich, daß einer der anderen Teilnehmer etwas beobachtet hat. Ich gehe morgen früh hin und rede mit den Leuten.«
»Wie früh?«
»Sehr früh. Ich muß vor acht aus dem Haus.«
Paola beugte sich vor und goß
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