Brunetti 14 - Blutige Steine
sagte: »Ich muß darüber nachdenken und ein paar Fragen klären, bevor ich mit Ihnen reden kann.«
»Kann oder darf?« forschte Brunetti.
»Kommt denn das nicht aufs selbe hinaus?« fragte der Priester harmlos.
Brunetti wußte nicht, mit welcher Taktik er diesen Ausflüchten begegnen sollte. »Ich bitte Sie, Don Alvise«, seufzte er endlich und fuhr dann lachend fort: »Seinerzeit, als wir uns kennenlernten, waren Sie kein Jesuit. Also fangen Sie doch jetzt nicht damit an.«
Das Eis war gebrochen, und die Atmosphäre zwischen den drei Männern entspannte sich wieder. »Schon gut, Guido, ich habe verstanden. Aber ich muß mich trotzdem noch mit ein paar Leuten beraten, bevor ich mit Ihnen reden kann.«
»Und wenn die nun nicht wollen, daß Sie mit mir sprechen?«
Wieder begannen die kleinen Füße im Rhythmus zu trommeln, als könnten sie mit ihrem sicheren Takt Don Alvise aus seinem Zwiespalt heraushelfen. »Dann werde ich mir die Sache gut überlegen müssen«, sagte er.
»Falls Ihnen das bei der Entscheidung hilft«, versetzte Brunetti, »so kann ich Ihnen versichern, daß die Einwanderungsbehörden nichts mit dem Fall zu tun haben. Und das wird auch so bleiben, egal was Sie mir erzählen.«
Das Trommeln hörte auf, und der Priester sah ihn forschend an. »Hängt denn das nicht davon ab, was Sie von mir erfahren?« fragte er.
Brunetti setzte alles auf eine Karte. »Wenn ich Ihnen verspreche, daß ich, ganz gleich, was Sie mir erzählen, nichts an die Einwanderungspolizei weitergeben werde, wollen Sie mir dann vertrauen?«
Der kleine Kindermund verzog sich zu einem Lächeln, und Don Alvise sagte: »Guido, wenn Sie mir Ihr Wort darauf gäben, daß Politiker ehrliche Menschen sind, würde ich Ihnen auch das glauben.« Und als er Brunettis und Vianellos erstaunte Gesichter sah, setzte er hinzu: »Obwohl ich in deren Gesellschaft auch weiterhin die Hand auf der Brieftasche behielte.«
Brunetti beschloß, es dabei bewenden zu lassen. Don Alvise würde entscheiden, ob und wie weit er den Commissario einweihen konnte, daran gab es nichts zu rütteln. Ihm blieb nichts weiter übrig, als auf die Weisheit des ehemaligen Priesters zu vertrauen. Mit dieser Einsicht erhob sich Brunetti, und die drei Männer nahmen höflich voneinander Abschied, bevor Brunetti und Vianello aufbrachen.
9
I st der immer so durchtrieben?« fragte Vianello, als sie aus dem Haus traten.
»Durchtrieben?« wiederholte Brunetti.
»Na ja, gerissen oder wie immer Sie's nennen wollen.« Und um seinen Unmut zu erklären, führte Vianello aus: »Er weiß, wer unser Toter ist. Ein Blinder hätte ihm das angesehen, und trotzdem führt er Sie an der Nase herum und verschanzt sich hinter irgendwelchen Leuten, mit denen er Rücksprache halten muß, bevor er Ihnen etwas sagen kann.« Vianello schnaufte ärgerlich, und ein grimmiges Atemwölkchen kräuselte sich vor den beiden Männern in der klaren, kalten Luft. »Wenn er den Toten kennt oder gekannt hat, dann muß er Ihnen das sagen«, beharrte Vianello. »Dazu ist er gesetzlich verpflichtet.«
Brunetti staunte nicht schlecht, als er ausgerechnet seinen Ispettore mit dem Gesetzbuch argumentieren hörte. »Einerseits ist er das, andererseits auch wieder nicht«, entgegnete er ausweichend.
»Und wieso nicht?« fragte Vianello.
Statt darauf zu antworten, steuerte Brunetti schräg über die calle auf eine Bar zu. »Ich brauche erst mal einen Kaffee«, sagte er und stieß die Tür auf. Die dumpfe Luft des überheizten Lokals umfing die Eintretenden wie eine zweite Haut, und der Dampfstrahl, den die Espressomaschine ausstieß, zischte so scharf, als wollte sie den wutschnaubenden Vianello von vorhin imitieren.
An der Theke verständigten die beiden sich mit einem Blick, dann verlangte Brunetti zwei caffè.
Während sie auf die Bestellung warteten, nahm Brunetti den Gesprächsfaden wieder auf: »Wenn Don Alvise glaubt, seine Aussage könne einen Dritten gefährden, dann steht es ihm frei zu schweigen.« Und bevor Vianello erneut mit dem Gesetzbuch argumentieren konnte, fuhr er fort: »Gut, von Rechts wegen müßte er mir natürlich trotzdem Rede und Antwort stehen, aber das würde ihn nicht beeindrucken. Nicht, wenn er überzeugt wäre, jemandem damit zu schaden.«
»Aber Sie haben ihm doch versprochen, die Einwanderungspolizei rauszuhalten«, beharrte Vianello. »Oder glaubt er Ihnen etwa nicht?«
»Es könnte ja auch sein«, antwortete Brunetti ausweichend, »daß die Gefahr woanders
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