Brunetti 14 - Blutige Steine
kann der Sergente von ihm etwas erfahren. Außerdem habe ich Signorina Elettra gebeten, sich umzuhören und wenn möglich herauszubekommen, wer an die vucumprà vermietet.«
»Gute Idee! Unser Mann muß ja irgendwo gewohnt haben.« Und als er merkte, wie töricht das klang, setzte Vianello hinzu: »Also ich meine hier in der Stadt, wenn er doch nichts weiter bei sich hatte als einen Schlüsselbund.«
»Ach, haben Sie übrigens den Obduktionsbericht gelesen?« Brunetti wunderte sich, wieso er vergessen hatte, Vianello das schon auf dem Weg zu Don Alvise zu fragen.
»Nein.«
»Danach war der Mann Ende Zwanzig, bei guter Gesundheit, und von den Schüssen, die ihn getroffen haben, sind zwei tödlich gewesen.«
»Gott, was für eine Welt!« Vianello sah Brunetti an, einen Moment sprachlos vor Verwirrung, und fuhr dann fort: »Ist es nicht seltsam, daß wir so gar nichts über diese Menschen wissen oder ganz allgemein über Afrika?«
Brunetti nickte nur stumm.
»Sie sind schwarz, und damit hat sich's, wie?« bemerkte Vianello ironisch und hob die Brauen.
Ohne auf den Ton seines Ispettore einzugehen, sagte Brunetti: »Wir sehen nicht aus wie die Deutschen, und die Finnen nicht wie die Griechen, trotzdem tragen wir alle europäische Züge.«
»Ja, und?« Brunettis Schlußfolgerung schien Vianello nicht sonderlich zu beeindrucken.
»Wir brauchen jemanden, der sich mit afrikanischen Stämmen auskennt«, sagte Brunetti.
In diesem Augenblick betrat Signorina Elettra das Büro, in der Hand ein Blatt Papier, von dem Brunetti sich einen Hinweis auf die Identität des toten vucumprà erhoffte.
»Ich habe zwei ausfindig gemacht«, sagte sie und nickte Vianello grüßend zu. Der bot ihr seinen Platz an, räumte seinen Parka von dem anderen Stuhl und setzte sich wieder.
»Zwei was?« fragte Brunetti ungeduldig.
»Vermieter«, entgegnete Signorina Elettra. »Ich habe einen Freund bei La Nuova angerufen.« Sie sah, wie die beiden Männer auf den Namen der Zeitung reagierten, und fügte hinzu: »Ich weiß, ich weiß. Aber wir sind schon seit der Grundschule befreundet, und Leonardo war auf die Stelle angewiesen.« Nachdem sie so ihren Freund entschuldigt und für die Wahl seines Arbeitgebers in Schutz genommen hatte, fuhr sie fort: »Außerdem hat er dort die Möglichkeit, in stadtbekannten Prominentenkreisen zu verkehren.« Das war zuviel für Vianello, der schallend loslachte. Signorina Elettra stimmte nach kurzem Zögern ein. »Zum Schreien, nicht? Daß einer prominent werden kann, bloß weil er in Venedig wohnt - als ob Ruhm und Glanz der Stadt auf ihn abfärben würden.«
Auch Brunetti hatte sich schon oft darüber gewundert, daß sich vor allem die Fremden, die sich in Venedig angesiedelt hatten, ein besonderes Prestige von einer bestimmten Adresse versprachen; als ob eine Wohnung in Dorsoduro oder ein Palazzo am Canal Grande ihre Konversation oder ihre geistigen Fähigkeiten veredeln, ihr langweiliges Leben interessanter machen oder ihren schalen Vergnügungen Esprit einhauchen könnte.
Was ihn selbst betraf, so schätzte Brunetti sich glücklich, Venezianer zu sein, aber er war nicht stolz darauf. Schließlich war es nicht sein Verdienst, wo er geboren wurde oder welchen Dialekt seine Eltern sprachen: wieso also stolz darauf sein? Es war nicht das erste Mal, daß die Hohlheit menschlicher Begierden ihn traurig stimmte.
»... drüben bei Santa Maria Materdomini«, hörte er Signorina Elettra sagen, als er sich wieder in ihr Gespräch mit Vianello einschaltete.
»Bertolli?« fragte Vianello. »Meinen Sie den, der im Stadtrat war?«
»Ja, Renato. Er ist Anwalt«, erklärte Signorina Elettra.
»Und der andere?« forschte Vianello weiter.
»Cuzzoni. Alessandro«, antwortete sie und machte eine Pause, um zu sehen, ob der Name einem von ihnen etwas sagte. »Er stammt eigentlich aus Mira, doch jetzt lebt er hier und betreibt ein Geschäft.«
»Was denn für eins?«
»Er ist Juwelier, verkauft aber hauptsächlich Fabrikware.« Sie sagte das im abfälligen Ton einer Frau, die niemals ein Schmuckstück tragen würde, das nicht handgearbeitet war.
»Wo ist denn sein Laden?« Brunetti fragte weniger aus Interesse, als um den beiden zu zeigen, daß er wirklich zuhörte.
»Hinter der Ventidue Marzo. In der calle, die zu La Fenice führt, gleich nach der Brücke.«
Brunetti machte sich im Geiste auf den Weg zum Campo San Fantin: die enge calle entlang, auf die Brücke zu, an dem Antiquitätengeschäft vorbei.
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