Brunetti 14 - Blutige Steine
also wieder auf den Canal Grande zuging, sagte schmunzelnd: »Gut kombiniert, nur wohnt unser Mann in Fontego dei Turchi.«
»Wahrscheinlich hilft er auch denen«, versetzte Vianello, »und dann paßt die Adresse genausogut.«
Brunetti erinnerte sich an den Eingang, einen schweren grünen portone mit zwei Löwenköpfen als Türgriffen. Er läutete, und als eine Stimme über die Gegensprechanlage fragte, wer dort sei, nannte er seinen Namen. Die Tür sprang auf, und die beiden betraten einen schmalen Hof mit einem abgedeckten Brunnen am Ende und etlichen schweren Bohlentüren zu beiden Seiten. Ohne Zögern schritt Brunetti auf die zweite Tür links zu, die einladend offenstand. Sie stiegen eine Treppe empor und wurden oben auf dem Absatz von einer kleinen, gebeugten Gestalt empfangen.
»Ciao, Guido«, sagte Perale, faßte Brunetti an den Ellbogen und reckte sich auf die Zehenspitzen, um ihn auf beide Wangen zu küssen.
Brunetti seinerseits umarmte den Alten voll aufrichtiger Zuneigung und umfaßte anschließend mit beiden Händen die Rechte des Priesters. »Und das«, sagte er, »ist mein Freund Lorenzo Vianello.«
Don Alvise hatte genügend Erfahrungen mit den Sicherheitskräften gesammelt, um einen Polizisten an der Nasenspitze zu erkennen, aber Vianello bedachte er mit einem herzlichen Händedruck. »Willkommen, willkommen. Bitte treten Sie doch ein«, bat er und zog Vianello buchstäblich an der Hand über die Schwelle.
Nachdem er die Flurtür geschlossen hatte, forderte er seine Besucher auf abzulegen und hängte ihre Mäntel an zwei Haken am Eingang. Brunetti überragte Don Alvise um Haupteslänge, und sein krummer Rücken ließ den ehemaligen Priester noch kleiner erscheinen, als er war. Seine dichte graue Mähne kam anscheinend weder mit Kamm noch Friseurwerkzeug in Berührung, so ungleichmäßig wie die Haare an den Seiten gestutzt waren und im Nacken bis über den Kragen wuchsen. Er trug eine Brille mit schwarzem Plastikgestell und so dicken Gläsern, daß die Augen dahinter verschwammen. Seine Nase sah aus, als hätte man ihm einen Lehmklumpen ins Gesicht gedrückt, und der Mund unter dem Machoschnauzer war klein und rund wie der eines Säuglings.
Dem Äußeren nach hätte er fast ein bißchen lächerlich, ja grotesk wirken können, doch die Liebenswürdigkeit, die er mit jedem Wort und Blick verbreitete, überstrahlte das. Er schien allen, die seinen Weg kreuzten, Achtung und Wohlwollen entgegenzubringen und jedem ohne Ansehen der Person mit aufrichtigem und unwandelbarem Respekt zu begegnen.
Das Zimmer, in das Don Alvise sie führte, hätte man wegen des Schreibtischs, der über Eck zwischen den Fenstern stand, für ein Büro halten können, wäre da nicht das Bett mit dem langen Regal darüber gewesen, auf dem einige verwaschene Jeanshosen lagen sowie ein Stapel Pullover und ordentlich zusammengefaltete Unterwäsche. Don Alvise holte den Schreibtischstuhl nach vorn, stellte ihn neben den einzelnen Sessel, der schon dastand, und lud seine Gäste ein, Platz zu nehmen. Er selbst setzte sich auf den Schreibtisch, obwohl er einen kleinen Satz machen mußte, um hinaufzukommen, und seine Füße in der Luft baumelten, als er oben war.
»Wie kann ich Ihnen helfen, Guido?« fragte er.
»Es geht um den Mann, der gestern abend ermordet wurde«, antwortete Brunetti.
Don Alvise nickte. »Das habe ich mir beinahe schon gedacht.«
»Ich nahm an, Sie hätten ihn vielleicht gekannt oder wüßten zumindest etwas über ihn.« Brunetti behielt den Priester fest im Blick, während er das sagte, doch der erhoffte Funke der Erinnerung in Perales Augen blieb aus. Also konnte der Commissario nur abwarten, ob der Priester seine unausgesprochene Frage beantworten würde.
»Sie haben kein Foto mitgebracht«, konstatierte Perale.
Brunetti maß ihn mit prüfendem Blick. »Ich hielt es nicht für nötig. Wenn man in Ihrer Umgebung wüßte, daß Sie ihn kannten, dann hätte man Ihnen längst Bescheid gesagt.« Daß er auch aus Barmherzigkeit auf die Fotos verzichtet hatte, behielt er für sich.
»Das stimmt«, bestätigte Don Alvise.
Brunetti ließ einen Moment verstreichen, bevor er nachhakte: »Und?«
Wie ein Kind, das examiniert wird oder sich beobachtet fühlt, senkte Perale den Blick zu Boden und trommelte leise mit den Fersen gegen die Schreibtischwand. Eins zwei, eins zwei, eins zwei zählten die Füße im Takt, während sein Gesicht den Besuchern verborgen blieb. Endlich hob er den Kopf, sah Brunetti an und
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