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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Brunetti sich auf seine Umgebung. Als erstes fiel ihm auf, wie kalt es war - so kalt, daß er froh sein konnte, den Mantel anbehalten zu haben. Im übrigen wirkte trotz der Unordnung alles sehr reinlich. Der Linoleumboden war grau, sah aber aus wie frisch gewischt. Und wenn er es richtig deutete, dann hatte man sein Glas nicht poliert, weil es nötig gewesen wäre, sondern um dem Gast Respekt zu zollen.
    Die Männer schwiegen lange. Endlich meldete sich der hagere Jüngling in den Schlabberjeans zu Wort. Als keiner der anderen auf seine Äußerung reagierte, setzte er nach und redete sich zusehends in Rage. Einmal hob er die linke Hand, zeigte auf Brunetti und Vianello und sagte etwas, das wie polizia klang, aber in einem ellenlangen Satz unterging, der jäh mit einem zornigen Ausruf endete. Während dieses ganzen hitzigen Auftritts hing sein rechter Arm steif und leblos herab.
    Jetzt sprach der Anführer beruhigend auf ihn ein und legte ihm, wie zum Nachdruck, beschwichtigend die Hand auf die Schulter. Doch statt sich zu mäßigen, ließ der junge Mann gleich wieder einen zornigen Wortschwall vom Stapel; deutlich war diesmal an zwei Stellen das Wort polizia herauszuhören.
    Ohne ein Zeichen von Ungeduld hörte der Anführer ihn bis zum Ende an, bevor er sich wieder Brunetti zuwandte. »Mein Freund hier sagt, wir können der Polizei nicht trauen.«
    Nun hatte der junge Mann sicher erheblich mehr gesagt; gleichwohl war sein Mißtrauen ohne Frage berechtigt. Die extracomunitari hielten sich illegal in Italien auf; sie betrieben ohne Lizenz Straßengeschäfte und verhökerten gefälschte Markentaschen. Da ihnen die Mittel fehlten, um Ladenlokale, Restaurants oder Bars zu kaufen oder auch nur zu mieten, blieb ihnen der Schutz verwehrt, den betuchte Ausländer genossen: Kein hilfreicher Beamter würde ihnen unter der Hand eine Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis beschaffen, niemand dafür sorgen, daß die Finanzpolizei bei großen Summen Bargeld auf die nervtötenden Herkunftsnachweise verzichtete; kein hilfreicher Telefonanruf würde sie am Abend vor einer geplanten Razzia warnen. Ohne diese guten Geister in den Behörden aber waren die Afrikaner Freiwild für arrogante, schikanöse Polizisten, weshalb sie gut daran taten, auf der Hut zu sein.
    Während Brunetti all dies durch den Kopf ging, hoffte er, daß die Afrikaner sein Schweigen nicht als Schwäche, sondern als Respektsbezeugung vor ihrem Anführer auslegen würden. Inzwischen hatte sich einer aus der Runde - ein ganz junger Mensch, kaum älter als Raffi - mit einem kurzen Beitrag zu Wort gemeldet. Der Anführer nickte, wandte sich erst an den Mann in der Daunenjacke, der eine einsilbige Antwort gab, und dann an die übrigen, die nur stumm den Kopf schüttelten.
    Nach einer langen Pause sagte der Anführer zu Brunetti: »Meine Freunde wollen sich lieber nicht zu dieser Sache äußern.«
    Brunetti zögerte einen Moment und fragte dann: »Aber Sie wissen schon, daß ich Sie alle verhaften lassen könnte?«
    Der Anführer lächelte belustigt, und sein Gesicht legte sich in heitere Falten. »Es ist nicht sehr klug von Ihnen, so etwas zu sagen. Wo Sie doch wissen, daß wir verschwinden könnten, bevor Sie die anderen Polizisten herholen, die uns verhaften sollen.«
    »Und Sie glauben nicht«, fragte Brunetti, ebenfalls mit einem Lächeln, »daß ich einfach aufstehen und Sie persönlich festnehmen könnte?«
    »Und uns alle ins Gefängnis bringen?« fragte der Afrikaner sanft. Und setzte verschmitzt hinzu: »Sie ganz allein?«
    Brunetti war inzwischen ziemlich sicher, daß der Anführer und der hagere Jüngling als einzige über genügend Italienischkenntnisse verfügten, um ihm folgen zu können. Die übrigen verstanden vielleicht bestimmte geläufige Wörter und Wendungen, aber zu mehr reichte es seinem Eindruck nach nicht.
    »Ganz recht, ins Gefängnis«, wiederholte Brunetti mit so übertriebener Drohgebärde, daß ihn eigentlich niemand hätte ernst nehmen können. »Wo wir Sie ganz leicht dazu bringen könnten, uns alles zu sagen, was wir wissen wollen.«
    Doch er hatte kaum ausgesprochen, da schnappte der schmächtige Jüngling nach Luft, pflanzte sich vor Brunetti auf und ballte die hochgereckte Linke zur Faust, während sein rechter Arm leblos herunterhing. Aber ein Blick des Älteren hielt ihn in Schach, und er verharrte keuchend, mit zorngeweiteten Augen und erhobener Hand. Vianello, der eben noch erstaunlich behende aufgesprungen war und dazwischengehen

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