Brunetti 14 - Blutige Steine
sich an das, was ich gesagt habe, Brunetti - wir müssen uns da raushalten.«
Am liebsten hätte Brunetti den Vice-Questore angeschrien, aber er bezwang sich und fragte mühsam beherrscht: »Warum sagen Sie mir das?«
»Um Sie, soweit es in meiner Macht steht, vor Unannehmlichkeiten zu bewahren.« Und als verleite Brunettis Schweigen ihn dazu, die Wahrheit preiszugeben, ergänzte Patta: »Um uns allen Scherereien zu ersparen.«
Brunetti erhob sich. »Danke für die Warnung, Vice-Questore«, sagte er und ging zur Tür. Dort verharrte er einen Moment, gespannt, ob Patta sich vergewissern würde, daß er verstanden habe und bereit sei, sich zu fügen. Doch da der Vice-Questore nichts sagte, verließ er den Raum und achtete darauf, die Tür leise hinter sich zu schließen.
Im Vorzimmer blickte Signorina Elettra ihm neugierig entgegen. Sie war im Begriff, etwas zu sagen, als Brunetti den Zeigefinger an die Lippen legte und ihr pantomimisch zu verstehen gab, sie würden sich oben in seinem Büro treffen. Im Hinausgehen legte er ihr noch den leeren Schnellhefter auf den Tisch.
Um zu verhindern, daß er womöglich doch noch vor Patta einknicken würde, rief er Paola an, beschrieb ihr den geschnitzten Frauenkopf, den er und Vianello im Zimmer des Toten gefunden hatten, und trug ihr auf, auch ihrem Kollegen an der Uni davon zu berichten. Nachdem er sie noch gebeten hatte, sich möglichst rasch mit dem Archäologen in Verbindung zu setzen, konnte er endlich in Ruhe seine Gedanken ordnen. Wenn Patta ihn mit einer so nachdrücklichen Warnung von einem Fall abzog, konnte das nur bedeuten, der Vice-Questore war selbst zurückgepfiffen worden. Fragte sich bloß, von wem. Wer besaß die Autorität, ihn einzuschüchtern? Patta hatte großen Respekt vor Reichtum und Macht, wobei Brunetti nie sicher war, was von beidem ihm mehr bedeutete. Geld würde ihn immer locken, aber beugen würde er sich nur der Befehlsgewalt. Folglich mußte die Warnung aus einer Quelle stammen, die mächtig genug war, Patta gefügig zu machen.
Pattas Behauptung, er wäre um Brunettis Sicherheit besorgt, verwarf der Commissario von vornherein als faule Ausrede. In Wahrheit fürchtete Patta wohl eher, Brunetti könne oder würde sich nicht davon abhalten lassen, die einmal begonnenen Ermittlungen weiterzuführen - nicht einmal durch eine ausdrückliche Order. Also hatte Patta, listig wie eine Schlange, die scheinbare Besorgnis um Brunettis Sicherheit ins Spiel gebracht, obwohl er tatsächlich nur um die eigene Haut bangte.
Eine Organisation, die mächtig genug war, einen Vice-Questore der Polizia di Stato in die Knie zu zwingen? Brunetti schloß die Augen und ließ die Verdächtigen Revue passieren. Die Kandidaten, die in Frage kamen, verteilten sich auf Regierungskreise, Klerus und organisiertes Verbrechen. Die große Tragik seines Landes, dachte Brunetti, bestand darin, daß alle gleichermaßen in Frage kamen.
15
S ignorina Elettras Erscheinen unterbrach den Commissario in seinen Grübeleien. Sie hatte zwar der Form halber angeklopft, doch bevor er »Herein« rufen konnte, stand sie schon im Zimmer, pflanzte sich vor seinem Schreibtisch auf und fragte in fast gebieterischem Ton: »Was hat er gewollt?« Dann, als wolle sie ihre Dreistigkeit im nachhinein abmildern, trat sie einen Schritt zurück und ergänzte kleinlaut: »Ich meine, er schien so erpicht darauf, mit Ihnen zu sprechen.«
Es war wohl eine Art Beschützerinstinkt, der Brunetti veranlaßte, ihr so ruhig zu antworten, als hätte sie eine ganz alltägliche Frage gestellt. »Nach dem Mord an dem Afrikaner hat er sich erkundigt.«
»Er war in einer sehr merkwürdigen Stimmung heute«, schob sie nach, um ihm eine befriedigendere Antwort zu entlocken.
Brunetti zuckte die Achseln. »Er ist immer nervös, wenn's Scherereien gibt. Weil es ein schlechtes Licht auf die Stadt wirft.«
»Und das wiederum wirft ein schlechtes Licht auf ihn.«
»Selbst wenn das Opfer keiner von uns ist«, versetzte Brunetti und stellte erschrocken fest, daß er sich schon ganz so anhörte wie Chiara. Doch bevor Signorina Elettra sich in ihrer kosmopolitischen Gesinnung gekränkt fühlen konnte, schob er eilig nach: »Kein Venezianer, wollte ich sagen.«
Damit war sie offenbar einverstanden. »Aber warum erwischt es ausgerechnet einen von diesen armen Teufeln, die niemandem Schaden zufügen? Sie wollen doch nichts weiter, als ein halbwegs anständiges Leben führen und einen Platz, an dem sie ihre Taschen verkaufen
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