Brunetti 14 - Blutige Steine
schmunzelte; mit dem Vergleich war er voll und ganz einverstanden. »Aber gibt es nicht doch eine Möglichkeit, die Herkunft zweifelsfrei zu bestimmen?« fragte er.
Claudio besann sich eine Weile, dann sagte er: »Nun, ich kann die Steine ein paar Freunden zeigen und deren Meinung einholen. Falls wir uns einig sind ... also dann kommen sie entweder aus Afrika, oder wir liegen alle falsch.«
»Können Sie die Bestimmung vielleicht noch weiter eingrenzen? Auf ein bestimmtes Land?«
»Diamanten kennen keine Landesgrenzen, Guido. Sie kommen aus Pipes, und die haben keine Pässe.«
»Pipes?«
»Ja, das ist der Fachausdruck. Darunter versteht man eine Art Schlote im Erdreich. Tiefe Krater, die man am ehesten mit ganz schmalen, tiefen Brunnen vergleichen könnte. Die Diamanten wurden vor Millionen von Jahren auf dem Grund dieser Schlote geformt und haben sich mit der Zeit nach oben vorgearbeitet.« Claudio fühlte sich merklich wohl in der Rolle des Experten, und Brunetti hörte gespannt zu. »Die Pipes treten im Verbund auf oder auch einzeln. In Gruppenformationen können sie leicht einmal Staatsgrenzen überschreiten und zum Territorium zweier Länder gehören.«
»Und was passiert dann?« fragte Brunetti.
»Dann nimmt der Stärkere dem Schwächeren die Beute weg.«
Seine Geschichtsstudien hatten Brunetti gelehrt, daß die meisten internationalen Konflikte auf diese Art geregelt wurden. »Läuft das auch in Afrika so?«
»Leider ja«, antwortete Claudio. »Was diesen armen Völkern einen weiteren Grund zur Gewaltanwendung liefert.«
»Obwohl es ihnen an Gründen kaum fehlen dürfte, nicht wahr?«
Aber das traurige Thema hatte Claudios Redefluß gehemmt, und er sagte nur lapidar: »Du kannst dir die Steine morgen abholen.« Und wie im Scherz fügte er hinzu: »Vorausgesetzt, du magst sie mir anvertrauen.«
Brunetti beugte sich vor und legte dem alten Herrn die Hand auf den Arm. »Wenn es Ihnen recht ist, möchte ich, daß Sie sie behalten«, sagte er.
»Für wie lange?«
Brunetti zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. So lange, bis ich entschieden habe, was damit geschehen soll.«
»Sind es Beweisstücke?« fragte Claudio, wobei er mehr an einer klaren Antwort als an der Sicherheit der Diamanten interessiert schien.
»In gewissem Sinne schon«, antwortete Brunetti ausweichend.
»Weiß noch jemand, daß du sie hast?« fragte Claudio.
»Ja.«
»Gott sei Dank«, seufzte der alte Mann.
»Was macht denn das für einen Unterschied?«
»Den, daß ich nun weniger versucht bin, sie zu stehlen«, erwiderte Claudio und erhob sich.
14
A uf dem Rückweg zur Questura ließ Brunetti sich das Gespräch mit Claudio noch einmal durch den Kopf gehen. Da er von Diamanten keine Ahnung hatte, waren die Auskünfte des alten Juwelenhändlers gewiß wertvoll, doch was den toten vucumprà betraf, so nützten sie ihm, genaugenommen, herzlich wenig: Er hatte erfahren, daß die Steine ein Vermögen wert waren und vermutlich aus Afrika stammten. Was natürlich interessant war - nur würde es ihm kaum helfen, den Zusammenhang zwischen den Steinen und der Ermordung des Straßenhändlers zu entschlüsseln. Habgier war eins der verläßlichsten Motive für ein Verbrechen, aber falls die Mörder von den Steinen gewußt hatten, warum hatten sie sie dann nach der Tat nicht an sich genommen? Und warum den Mann überhaupt umbringen, wenn sie nur hinter den Steinen her waren? Wer hätte schon einem vucumprà geglaubt, der in der Questura erschienen wäre, um Anzeige zu erstatten, weil ihm seine wertvollen Diamanten gestohlen wurden.
Brunetti hielt es für strategisch geboten, unverzüglich mit seinem Vorgesetzten, Vice-Questore Giuseppe Patta, zu sprechen, damit der ihm weitere Ermittlungen genehmigte. Um das zu erreichen, würde er Patta allerdings weismachen müssen, daß er eigentlich kein großes Interesse an dem Fall habe. In der Questura angekommen, begab er sich direkt zu Pattas Büro und traf den Gesuchten im Vorzimmer, wo er mit Signorina Elettra den Terminplan durchging.
Als hätte jemand dem Personal der Questura heute morgen beim Ankleiden das Wort »Diamanten« als Losung zugeraunt, trug Patta eine neue und ungewohnt auffällige Krawattennadel: einen winzigen goldenen Panda mit Diamantenaugen. Und als hätte sie durch ein geheimes Frühwarnsystem Wind bekommen von diesem letzten Schrei der Herrenmode, hatte Signorina Elettra ein Paar geschmackvolle kleine Brillantohrringe angelegt, die Pattas Panda zwar nicht übertrumpfen
Weitere Kostenlose Bücher