Brunetti 14 - Blutige Steine
das.«
Brunetti fühlte sich plötzlich wie verloren; als wäre er im Alberoni ins seichte Wasser gewatet und von einer unsichtbaren Strömung hinweggerissen worden. »Sie sorgt sich wegen der Blumen, aber der Tod eines vucumprà läßt sie kalt?« Er wußte sehr wohl, daß sein Einwand nicht zwingend war, und mochte doch nicht darauf verzichten.
Paola lächelte so vielsagend, als hätte sie sich diese Frage auch schon gestellt. »Wir dürfen nicht zuviel von ihr erwarten, Guido. Ich glaube, sie ist noch zu jung, um ihre Vorstellungen und Ideale miteinander in Einklang zu bringen.«
»Was soll das heißen?«
»Genau was ich gesagt habe: Sie ist in vieler Hinsicht noch ein Kind, also entdeckt sie all die hehren und edlen Missionen zum erstenmal und sieht jede ganz für sich allein: Sie hat noch keinen Blick für die Verbindungen oder Widersprüche zwischen ihnen - noch nicht.«
Paola sah ihn forschend an, doch da er schwieg und nur zweifelnd dreinschaute, fuhr sie fort. »Ich erinnere mich gut, wie ich in ihrem Alter war, Guido, und für welch vermeintlich hehre Ideale ich mich damals engagierte. Von denen mir einige in der Rückschau peinlich sind, ja für ein oder zwei schäme ich mich sogar.«
»Zum Beispiel?« fragte er mit unverhohlener Skepsis.
»Zum Beispiel die Roten Brigaden«, antwortete sie prompt und mit einemmal sehr ernst. »Ich schäme mich heute, wenn ich daran zurückdenke, wie ich sie idealisiert und geglaubt habe, sie wollten mit ihrer Revolution politische und soziale Gerechtigkeit erkämpfen.« Sie schloß die Augen vor dem Bild der Paola, die sie einmal gewesen war.
Nicht ohne ein gewisses Unbehagen erinnerte sich Brunetti an die eigene Begeisterung für die Parolen und angeblichen Ideale, die damals kursierten. »Und jetzt?« fragte er endlich.
Sie neigte den Kopf zur Seite und sagte achselzuckend: »Heute glaube ich, daß sie bloß eine Bande verwöhnter junger Leute waren, die das Augenmerk der Welt auf sich lenken wollten und sich nicht darum scherten, wer dabei zu Schaden kam oder gar sein Leben lassen mußte. Die krankten doch alle am protagonismo, waren besessen von dem Verlangen, im Rampenlicht zu stehen. Und wir haben ihnen all die Aufmerksamkeit geschenkt, die sie haben wollten, und einige von uns spendeten ihnen auch noch Lob und Beifall.« Paola nahm die Vase mit den Tulpen und wandte sich zum Wohnzimmer. »Wenn wir also gewisse Ungereimtheiten in Chiaras Überzeugungen oder ihren Leitbildern sehen und wenn sie Parolen oder Ansichten übernimmt, die sie bei anderen aufgeschnappt hat, dann sollten wir, denke ich, Geduld mit ihr haben und hoffen, daß sie irgendwann wieder zur Vernunft kommt.«
»So wie bisher?« fragte Brunetti und folgte ihr über den Flur.
»Ich glaube schon, ja.«
»Hast du mit ihr gesprochen?« fragte er.
»Über das, was sie neulich mittag gesagt hat?« »Ja.«
»Nein.« Paola blieb neben dem schmalen Tisch mit der Majolikaschale und der kleinen marmornen Hermesbüste stehen. »Das war gar nicht nötig.« Sie stellte die Blumen links neben die Statue, rückte die Vase ein paar Zentimeter vor und trat zurück, um ihr Arrangement zu bewundern.
»Was heißt das, es war nicht nötig?« fragte Brunetti mißbilligend.
Paola sah ihn an. »Chiara weiß, daß das, was sie gesagt hat, falsch war, und seither grübelt sie unablässig darüber nach. Oder jedenfalls seit ich sie deswegen heruntergemacht habe. Sie hat's nur noch nicht zu Ende gedacht, aber wenn es soweit ist, wird sie auch darüber reden.«
Brunetti verschränkte die Arme. »Du bist also nicht nur die Urmutter? In deiner Freizeit springst du auch noch als Gedankenleserin ein?«
Paola lächelte und bedeutete ihm, den Weg freizugeben. Sie war schon fast wieder in der Küche, als sie über die Schulter zurückrief: »So was in der Art, ja!«
Brunetti folgte ihr. Und da er nicht direkt zugeben wollte, daß sie recht hatte, begnügte er sich mit der Frage: »Und was wird mit den Blumen da?« Er wies mit dem Kinn auf die Iris, die Paola jetzt eine nach der anderen in die hohe blaue Vase stellte, die sie immer für Lilien nahm.
»Die Blumen? Nun, wenn ich mit dem Strauß fertig bin, werde ich sie in mein Arbeitszimmer stellen, und jeder, der sie sieht, wird sich daran erfreuen.«
»Und wenn Chiara etwas sagt?« fragte er.
»Dann erkläre ich ihr, daß ich völlig einverstanden bin mit ihren Prinzipien, aber daß du mir die Blumen geschenkt hast, sie sich also mit ihren Kommentaren oder ihrer
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