Brunetti 14 - Blutige Steine
Kritik an dich wenden muß.«
Brunetti lachte, bückte sich nach dem Schränkchen mit dem Mülleimer unter der Spüle und entsorgte das Einwickelpapier. »Listig wie eine Schlange«, sagte er nicht ohne Bewunderung.
»Ja, ich weiß«, gab sie zu. »Eine Form angepaßten Verhaltens, die mir von Berufs wegen aufgezwungen wird.«
»Geht mir genauso«, sagte er und fügte dann hinzu: »Wollen wir irgendwo Kaffee trinken gehen?«
Paola hatte die Vase mit den Iris an den Rand der Küchentheke geschoben und bewunderte ihr Werk nun mit einigem Abstand. »Gern, wir könnten zu Tonolo gehen und uns un cigno gönnen. Und wenn wir schon mal in der Gegend sind, könnten wir auch gleich bei San Barnaba vorbeischauen und fragen, ob sie das gute Brot vorrätig haben.«
Dieser Ausflug würde, so schätzte Brunetti, über eine Stunde beanspruchen. Erst ein cremegefüllter Schwan bei Tonolo, dann der Spaziergang zum Campo San Barnaba und dem Laden, der den guten Käse und das Brot aus Puglia verkaufte. Auf der Suche nach Ruhe und Frieden war er aus dem Büro geflohen und weil er sich vergewissern wollte, daß auch in einer gewalttätigen, kriminellen Welt noch irgendwo Vernunft und Einsicht walteten. Und nun schlug seine Frau vor, sie sollten eine Stunde damit zubringen, Kuchen zu essen und einen Laib Brot zu kaufen. Begeistert willigte er ein.
Während sie gemächlich dahinschlenderten und hie und da haltmachten, um Bekannte zu grüßen oder die Auslagen eines Schaufensters zu betrachten, erzählte er Paola von Pattas Warnung und wie er sie deutete. Sie hörte zu, sagte aber nichts, bis sie ihren Kaffee getrunken und den cremegefüllten Schwan verzehrt hatten und sich auf den Weg zum Campo San Barnaba machten.
»Glaubst du, er fürchtet um seine Stelle oder um sein Leben?« fragte sie. »Oder um seine Familie?«
Als nächstes blieben sie bei den beiden Gemüsebooten stehen, die an der riva vor Anker lagen. Patta für einen Moment außer acht lassend, besprachen sie das Abendessen und kauften schließlich ein Dutzend Artischocken und ein Kilo Fuji-Äpfel. Als sie weitergingen, kam Brunetti auf Paolas Frage zurück. »Wovor er sich fürchtet, kann ich dir nicht sagen, ich spüre nur, daß er Angst hat.«
»Dann kämen also alle drei Möglichkeiten in Betracht«, versetzte Paola und betrat als erste den Laden. Zehn Minuten später kamen sie mit einem ganzen Laib Puglieser Brot wieder heraus; außerdem hatten sie noch ein großes Stück pecorino gekauft und ein Glas Pestosauce, der besten in der ganzen Stadt, wie der Ladenbesitzer beteuerte.
»Was hältst du davon?« fragte Paola so beiläufig, daß Brunetti nicht wußte, ob sie den Pesto meinte oder Pattas Ängste. Er wartete, sicher, daß sein Schweigen ihr eine Erklärung entlocken würde. »Du kennst ihn sehr viel besser als ich«, sagte sie endlich. »Darum dachte ich, du könntest erraten, um was es geht - seine Stellung oder seine persönliche Sicherheit.«
Brunetti dachte eine Weile nach, aber dann schüttelte er den Kopf. »Nein, ich merke nur, daß er große Angst hat.«
»Wenn du weitermachst, wirst du schon dahinterkommen«, versetzte Paola.
»Du meinst mit den Ermittlungen?«
Paola blieb stehen und sah ihn verwundert an. »Ich hatte vorausgesetzt, daß du die weiterführst, ganz gleich was Patta sagt. Nein, ich meinte, du wirst hinter seine Motive kommen, wenn du ihn wissen läßt, daß du an dem Fall dranbleibst.«
»Ich werde mich hüten«, sagte Brunetti.
»Warum? Damit er nicht das Gesicht verliert?«
Brunetti lachte. »Nein, damit ich meine Stelle nicht verliere.«
»Aber er kann dich doch nicht entlassen?« fragte sie aufgebracht. Er sah schon, wie sie die Familientruppen mit ihrem ganzen Netzwerk an Beziehungen aufmarschieren ließ.
Brunetti erwog den Gedanken, dann antwortete er: »Nein, ich glaube nicht, daß er das könnte, zumindest nicht im Alleingang. Aber er könnte meine Versetzung beantragen. Das ist der übliche Weg, Leute loszuwerden.«
»Was für Leute?« fragte Paola.
Brunetti blieb ein paar Schritte zurück, um entgegenkommenden Passanten in der engen calle Platz zu machen. »Unbequeme Leute«, sagte er, sobald er sie wieder eingeholt hatte.
»Und was verstehst du darunter?«
»Leute, die Fragen stellen und verhindern wollen, daß unser ganzes System der Korruption anheimfällt«, entgegnete Brunetti, selbst überrascht von seinem Pathos.
Paola griff nach seinem Arm und zog ihn durch den ihren. Er hätte nicht sagen können, ob sie
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