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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Fernseher mit einem Alpenveilchen im Plastiktopf darauf. Über den Bildschirm tanzten pastellfarbene Comicfiguren zu einer stummen Melodie, denn der Ton war ganz leise gestellt, wenn nicht gar abgedreht.
    Auf dem Sofa, das vielleicht einmal weiß gewesen war, inzwischen aber eine hellbeige Färbung angenommen hatte, lag eine karierte Decke. In der Mitte saß ein kleiner Junge von vielleicht zwei Jahren. Das Geräusch, welches sie von draußen gehört hatten, kam von ihm: Da er seine Freude an den Pastellpüppchen auf dem Bildschirm offenbar noch nicht mit Worten ausdrücken konnte, jauchzte und quietschte er im Takt zu ihren Sprüngen und Pirouetten. Als die Erwachsenen eintraten, lächelte der Kleine seine Großmutter an und klopfte auf den Sitz neben sich.
    Sie ließ sich in die Kissen fallen, hob den Jungen hoch und nahm ihn auf den Schoß. Als sie sich hinunterbeugte und ihn auf den Scheitel küßte, strampelte er verzückt. Er drehte sich vom Fernseher weg, zog sich an seiner Großmutter hoch und drückte ihr einen feuchten Schmatz auf die Nase. Die Frau sah lächelnd zu Brunetti auf, bevor sie ihre Wange an die des Kindes schmiegte. Dann barg sie ihr Gesicht in seinem Nacken und murmelte: »More, xe beo, xe propio beo.« Und wieder an Brunetti gewandt, fragte sie strahlend: »E xe beo, me puteo?«
    Brunetti grinste zustimmend, pries das sonnige Gemüt des Knaben, der entschieden aufgeweckter sei als alle Kinder seines Alters, die er je gesehen habe, und vergaß auch nicht, seine auffallende Ähnlichkeit mit der Großmutter zu rühmen. Hier kniff die Frau ihre Lider für einen Moment noch fester zusammen und beäugte Brunetti mit einem langen, forschenden Blick.
    »Meine sind nun schon groß«, fuhr er fort, »aber ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als sie so klein waren. Damals habe ich mich manchmal unter einem Vorwand von der Arbeit weggestohlen, nur um bei ihnen zu sein. Ich schützte etwa eine auswärtige Zeugenbefragung vor, während ich in Wahrheit nach Hause ging und mit meinen Babies spielte.«
    Das schien der Frau zu gefallen, und sie lächelte wohlwollend. Plötzlich aber hörte man aus dem Hintergrund der Wohnung gedämpft und doch unverkennbar das Weinen eines Kindes. Auf Brunettis verdutzten Blick hin sagte die Frau: »Das ist Emma.« Und während sie den Kleinen auf ihren Knien reiten ließ, ergänzte sie: »Seine Zwillingsschwester.« Dann taxierte sie Brunetti mit scharfem Blick und fragte: »Könnten Sie sie vielleicht holen gehen? Er fängt nämlich an zu schreien, wenn ich ihn jetzt allein lasse, und sei's auch nur für eine Minute.«
    Brunetti blickte unschlüssig in Richtung Flur.
    »Gehen Sie einfach dem Weinen nach«, erklärte die Frau und widmete sich wieder dem Hoppe-Reiter-Spiel mit ihrem Enkel.
    Brunetti tat wie geheißen und landete in einem Zimmer auf der rechten Flurseite, wo Kopf an Kopf zwei Kinderbettchen standen. An der Decke schwebten leuchtendbunte Mobiles, und ein kleiner Stofftierzoo war hinter den Gitterstäben der Bettchen aufgebaut. In einem davon lag ein kleines Mädchen, neben sich einen flauschigen Elefanten, genauso groß wie sie. Brunetti trat näher und sagte leise: »Ja, Emma, wie geht's dir denn? Was bist du doch für ein hübsches Mädchen. Aber nun komm, komm, wir wollen zu deiner nonna, hm?«
    Er bückte sich, und als er sie aus dem Bett hob, stellte er überrascht fest, daß sie so matt wie ein verängstigtes Tier in seinen Armen hing. Einer noch nicht ganz vergessenen Gewohnheit folgend, legte er sich das Kind über die Schulter, spürte, während er mit der Rechten den warmen Rücken tätschelte, wie zerbrechlich es war, und beruhigte es den ganzen Weg zurück ins Wohnzimmer mit nichtssagenden Worten.
    »Bringen Sie unsere Emma nur her zu mir«, sagte die Frau, als er hereinkam. Doch sowie Brunetti das Kind neben seiner Großmutter absetzte, kippte es nach rechts und fiel vornüber. Es wimmerte leise, rührte sich aber nicht.
    Als Brunetti sich hinunterbeugen und die Kleine wieder aufrichten wollte, wehrte die Frau ab. »Nein, lassen Sie nur. Sie kann noch nicht alleine sitzen.«
    Mit zwei Jahren konnten Brunettis Kinder beide schon laufen, ja sogar rennen, und Raffi machte Jagd auf alles in seiner Reichweite. Trotzdem tat Brunetti so, als fände er die Erklärung der Frau durchaus nicht befremdlich.
    »Waren Sie mit ihr beim Arzt?«
    »Ach, die Ärzte«, sagte sie in dem Ton, in dem alle Venezianer über Mediziner zu reden pflegen.
    Dann erhob sie

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