Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
»Ich würde wirklich sehr gern mit diesen Männern reden, um Näheres darüber zu erfahren, was dein Vater wie gesagt hat.« Assunta wollte etwas einwerfen, doch er ließ sich nicht unterbrechen. »Ich spreche jetzt nicht als Polizist zu dir, denn es liegt ja keinerlei Anzeichen für eine Straftat vor, nicht das geringste. Wenn ich dich um die Namen dieser Männer bitte, dann nur, weil ich mich mit ihnen unterhalten und - wenn ich irgend kann - für Klärung sorgen möchte.«
»Wirst du dann auch mit meinem Vater reden?« fragte sie ängstlich.
»Vorerst sehe ich dafür keinen Grund«, antwortete Brunetti wahrheitsgemäß. Ihm lag nichts an einer neuerlichen Konfrontation mit De Cal; außerdem hielt er Assuntas Vater für einen Mann, bei dem die Stimme der Vernunft auf eher taube Ohren stieß.
»Du willst also, daß ich dir die Namen nenne?« Assunta sprach auf einmal ganz leise, so als könnte sie sich mit einer kleinen Stimme leichter unter seiner Antwort wegducken.
»Ja.«
Sie sah ihn lange an. Endlich sagte sie: »Giorgio Tassini, l'uomo di notte. Bei meinem Vater und in der benachbarten fornace. Und Paolo Bovo. Der arbeitet allerdings nicht mehr für uns.«
Brunetti bat um die Adressen, und Assunta schrieb sie auf einen Zettel, den er ihr gab. Ob er wohl mit Tassini außerhalb der fornace sprechen könne? Das versprach Brunetti ihr nur zu gern, konnte er sich so doch fürs erste von De Cal fernhalten.
Einen Menschen mit falschen Beteuerungen in Sicherheit zu wiegen war noch nie Brunettis Stärke gewesen, aber in diesem Fall wollte er seiner Besucherin zumindest ein wenig Trost mit auf den Weg geben. »Warten wir ab, was die beiden mir erzählen«, sagte er. »Im Zorn oder auch unter Alkoholeinfluß entschlüpfen einem leicht Dinge, die gar nicht so gemeint sind.« Und De Cals hochroten Kopf vor Augen, fragte er: »Trinkt dein Vater mehr, als er sollte?«
Assunta seufzte. »Ein Glas Wein wäre eigentlich schon zuviel für ihn. Mein Vater ist Diabetiker und sollte überhaupt nicht trinken, geschweige denn die Mengen, die er konsumiert.«
»Kommt das denn oft vor?«
»Ach, du weißt ja, wie das geht, besonders in so einem Betrieb«, sagte sie, wie von langer, leidvoller Erfahrung zermürbt. »Un'ombra morgens um elf, danach einen Wein zum Mittagessen und später ein, zwei Bier, um, besonders im Sommer, wenn es heiß ist, über den Nachmittag zu kommen; vor der Abendmahlzeit noch mal ein paar ombre, zum Essen wieder Wein und dann vielleicht noch einen Grappa vor dem Schlafengehen. Und am nächsten Tag das Ganze von vorn.«
Brunetti erinnerte ihre Aufzählung an die Trinkgewohnheiten aus der Generation seines Vaters: Die Männer damals hatten fast ihr ganzes Erwachsenenleben lang kräftig gezecht, und doch hatte er keinen von ihnen je erkennbar betrunken erlebt. Warum um alles in der Welt sollten sie sich auch mäßigen, nur weil die gehobenen Stände auf Prosecco und Schorle umgestiegen waren?
»War dein Vater immer schon so?« fragte Brunetti und setzte erklärend hinzu: »Ich meine jetzt nicht das Trinken, sondern seinen Jähzorn und die heftigen Ausfälle.«
Assunta nickte. »Vor ein paar Jahren mußte sogar die Polizei kommen und eine Schlägerei beenden.«
»An der er beteiligt war?«
»Ja.«
»Was ist denn da passiert?«
»Also, Vater war in einer Bar, und jemand sagte etwas, das ihm mißfiel - er hat nie mit mir darüber gesprochen, daher weiß ich auch nicht, um was es ging. Ich kann nur wiedergeben, was andere mir erzählt haben - jedenfalls hat Vater dem Mann Kontra gegeben, und dann hat einer dem anderen eine gelangt - ich habe nie erfahren, wer. Man alarmierte die Polizei, aber als die kam, hatten die anderen Gäste die beiden Streithähne schon getrennt, und es passierte nichts weiter. Das heißt, es gab keine Festnahmen, und niemand hat Anzeige erstattet.«
»Ist sonst noch was vorgefallen?« forschte Brunetti.
»Nicht, daß ich wüßte. Nein.« Assunta schien erleichtert, dieses peinliche Thema beenden zu können.
»Und ist er gegen dich jemals tätlich geworden?«
Sie starrte ihn mit offenem Mund an. »Wie bitte?«
»Hat er dich je geschlagen?«
»Nein!« entgegnete sie so vehement, daß Brunetti ihr einfach glauben mußte. »Mein Vater liebt mich. Er würde sich eher die Hand abhacken, als sie gegen mich zu erheben.« Seltsamerweise glaubte Brunetti auch das.
»Verstehe«, meinte er und fügte dann hinzu: »Bestimmt macht das die Sache mit Marco um so schmerzlicher für
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